Station 10

Altes Rathaus: Politischer Widerstand in Erkelenz









Das Alte Rathaus ist seit jeher Symbol für die Politik in Erkelenz. Hier soll an fünf Männer erinnert werden, die sich in Erkelenz nicht widerstandslos der NS-Diktatur unterwarfen, sondern durch Nonkonformität oder aktiven Widerstand ihre Ablehnung zeigten. In der Zeit der NS-Diktatur diente das alte Rathaus auch als Polizeigefängnis. Hier wurde am 20. Juli 1935 Dr. Jakob – genannt Jack – Schiefer inhaftiert und misshandelt, bevor er am nächsten Tag der GESTAPO übergeben wurde und in deren Gefängnisse gebracht wurde. Nach einer Denunziation war Schiefer vor dem Erkelenzer Bahnhof verhaftet worden, während er für eine Widerstandgruppe eine Kurierfahrt durchführte.
Dr. Jack Schiefer ist sicherlich der prominenteste der Erkelenzer Widerständler. Geboren 1898 bei Köln, emigrierte der Sozialdemokrat, Arbeitersekretär und Gewerkschafter 1933 nach Amsterdam, da er schon zu diesem frühen Zeitpunkt auf den Fahndungslisten der GESTAPO stand. Von den Niederlanden aus organisierte Schiefer gemeinsam mit weiteren Gewerkschaftlern und Sozialdemokraten aktiven Widerstand, er nahm an SPD-Auslandskonferenzen als Redner teil und war als Kurier im Deutschen Reich tätig. Bei einer dieser Kurierfahrten wurde er in Erkelenz verhaftet und inhaftiert. 1936 wurde Schiefer zu zweieinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt. Lediglich die Teilnahme an den SPD-Konferenzen war ihm nachzuweisen, seine Kuriertätigkeit nicht. „Wäre mir der Umfang meiner illegalen Tätigkeit nachgewiesen worden, lebte ich nicht mehr“, schrieb Schiefer nach dem Krieg. Nach seiner Haftentlassung blieb er in Deutschland, arbeitete in der Industrie und war noch mehrmals den Verhören der GESTAPO ausgesetzt. 1944 tauchte Jack Schiefer unter, nachdem er zum Strafbataillon 999 einberufen worden war. Im März 1945 kehrte Schiefer in das von US-Soldaten befreite Erkelenz zurück, wo er kurz darauf von den Amerikanern zum Landrat des Kreises Erkelenz berufen wurde. Schiefer gab diese Funktion 1947 wieder ab, war aber nach seiner Pensionierung noch lange Zeit Mitglied des Erkelenzer Stadtrates; er starb 1980 in Erkelenz. Heute ist die Dr.-Jack-Schiefer-Straße nach dem Widerstandskämpfer benannt.

Nicht durch aktiven Widerstand, aber durch Nonkonformität zeigten zwei Amtsvorgänger Schiefers als Landrat des Kreises Erkelenz zumindest zeitweise ihre Ablehnung der NS-Diktatur. Theodor August Flesch, seit 1929 Landrat, stand der katholischen Zentrums-Partei nahe. Nach der Machtübernahme durch die NSDAP 1933 weigerte er sich, der Partei beizutreten. Er wurde daraufhin am 18. April 1933 beurlaubt und in die Wirtschaftsabteilung in Magdeburg strafversetzt. 1935 trat Theodor August Flesch doch der NSDAP bei und entging somit seiner Entlassung aus dem Staatsdienst. Nach dem Krieg wurde sein Antrag auf Rückversetzung ins Erkelenzer Land mit Verweis auf seine NSDAP-Mitgliedschaft abgelehnt.

Unmittelbar nach der "Machtübernahme" im Januar 1933 wurden die NSDAP-Kreisleiter deutlich gestärkt und zu „Parallel-Landräten“ aufgewertet. Sie sollten dafür sorgen, dass die öffentlichen Kommunal-Verwaltungen – mit den Landräten an der Spitze – die Vorgaben der NSDAP umsetzten. Dies bekam auch Fleschs Nachfolger zu spüren. Dr. Eduard Wessel war seit 1924 Landrat des Kreises Siegburg. Als Mitglied des Zentrums wurde er 1933 genau wie Flesch strafversetzt und dessen Nachfolger als Landrat im weniger bedeutenden Kreis Erkelenz. 14 Tage nach seiner Ernennung zum kommissarischen Landrat wurde Wessel Mitglied der NSDAP und daraufhin am 1. Mai offiziell ernannt. Als NSDAP-Kreisleiter kontrollierte der Erkelenzer Curt Horst – ausgezeichnet mit der höchsten NSDAP-Ehrung, dem „Blutorden“ – die Amtsführung Wessels. 1944 starb Dr. Eduard Wessel nach der Evakuierung der Stadt Erkelenz in Folge der Luftangriffe. Der Entnazifizierungsausschuss beschloss nach dem Krieg, dass Wessel in der Kategorie V, „entlastet“, eingestuft worden wäre. Auch seine ehemalige Haushälterin stellte 1948 fest: „Dr. Wessel hat – oft im Kampf mit der Partei – das Beste für die Bevölkerung getan.“

Ein drittes Beispiel für eine Strafversetzung findet sich in der Person des Erkelenzer Bürgermeisters Ernst de Werth. 1932 zum Bürgermeister bestimmt, verzichtete der Zentrumspolitiker noch in der ersten Stadtratssitzung nach der „Machtergreifung“ auf NS-Parolen. Bereits im Mai 1933 wurde er in den Ruhestand versetzt und trat 1937 unter Androhung von Schutzhaft der NSDAP bei.

Der Lokalpolitiker Dr. Joseph Hahn war der NSDAP gleich in mehreren Funktionen ein Dorn im Auge. Zum einen versuchte er als Verleger des Erkelenzer Kreisblattes gegen den Druck der Nationalsozialisten bürgerlichen Journalismus aufrechtzuerhalten (siehe Station 3). Zum anderen war Hahn Vorsitzender der Erkelenzer Zentrums-Partei und Mitglied in Stadtrat und Kreistag. Auch nach der Auflösung des Zentrums lebte er seine christlichen Werte konsequent auch nach außen und wurde 1944 verhaftet und im Konzentrationslager in den Kölner Messehallen inhaftiert. Nach drei Monaten Haft wurde er – 61-jährig und körperlich schwer gezeichnet – entlassen; Dr. Joseph Hahn starb einen Monat später in Erkelenz. 1959 erhielt der Platz an der Burg den Namen „Dr.-Joseph-Hahn-Platz.“

Die Beispiele zeigen, dass es auch im Erkelenzer Land Politiker gab, die sich nicht bedingungslos den „neuen Herren“ unterwarfen, sondern vor allem zu Beginn der NS-Diktatur zu ihren – meist katholisch-konservativen – politischen Überzeugungen standen. Unter dem zunehmenden Druck brachen die meisten in den ersten Jahren des „Dritten Reiches“ ein und beendeten ihre politische Tätigkeit oder wurden Mitglied der NSDAP. Konsequente Nonkonformisten wie Joseph Hahn oder aktive Widerstandskämpfer wie Jack Schiefer, die für den Kampf gegen Hitler ihr Leben aufs Spiel setzten, blieben die Ausnahme.

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