Interview mit Herrn Fischer



Bild 1: Herr Fischer beim Interview

Am 08.08.06 führten wir mit Herrn Fischer im Lesesaal des Gästeamtes Wangen ein Gespräch. In diesem befragten wir ihn über die Geschehnisse in Wangen zur NS- und Nachkriegszeit.

Im folgenden Auszugs des Interviews haben wir bewusst in manchen Fällen die Umgangssprache beibehalten.



Steffen: Wann sind Sie geboren und wie ist Ihr Name?

Herr Fischer: Mein Name ist Herr Fischer. Ich bin hier 1937 in Wangen geboren.

Jan: Also haben Sie die Nachkriegszeit, gerade die Besatzungszeit, in Wangen direkt miterlebt?

Herr Fischer: Indirekt. 1945, als der Krieg aus war, waren wir noch junge Burschen mit 8 Jahren. Die Zeit vorher habe ich aber durch Eltern und Familie mitbekommen. Gerade auch von diesen, die in den Krieg mussten und sogar noch mit hohem Alter eingezogen wurden. Auch als hier in Wangen noch das letzte Mal zum Volkssturm aufgerufen wurde. Sogar die jungen Burschen der Hitlerjugend wurden damals noch mobil gemacht.
Zudem haben wir natürlich auch die Zeiten miterlebt, in denen man auch einfach nichts zu essen hatte.

Jan: War das auch hier in Wangen so drastisch?

Herr Fischer: Sicher, viele von uns waren unterernährt, weil es einfach nichts zu essen gab! Und die, die was hatten, mussten es abgeben. Wir sind sogar des Öfteren nachts mit den Fahrrädern auf die Äcker gefahren und haben dort mit den Händen Kartoffeln ausgegraben. Wir hatten alles versucht um an Essen zu kommen und haben sogar Klamotten beim Bauer eingetauscht, um ein halbes Pfund Butter zu bekommen. Wir hatten Essensmarken mit Radiergummi und Stiften bearbeitet, in der Hoffnung, dass doch noch zusätzlich eine Butterbrezel rausspringt.
Erst 1947, als es das erste mal wieder eine richtige Währung gab, fing es an uns besser zu gehen.
Ich muss auch noch einen Arzt hervorheben, der bei Nacht und Nebel in die Häuser kam und die Bevölkerung mit Penicillin versorgt hatte, denn es gab eigentlich kein Penicillin mehr, weil alles an die Wehrmacht abgegeben werden musste. Das hat er alles unentgeltlich gemacht und sogar immer noch ein Stück Brot mitgebracht. Wäre er erwischt worden, hätte man ihn sofort erschossen.
Ein weiteres Problem war damals die Schule, weil einfach viel versäumt wurde und man alles selber nachholen musste. Trotzdem war der Vorteil, dass man um zum Beispiel Schlosser zu werden, keinen Abschluss haben musste.

Jan: Wie sah es dann hier mit der Entnazifizierung aus? Gab es viele Familien in denen die Väter in Gefangenschaft gerieten?

Herr Fischer: Man musste einen Antrag stellen um aus der Partei auszutreten, worin man seine Position und Aufgaben erläutern musste. Danach wurde dann entschieden, wie die Konsequenzen für die einzelne Person waren. Dabei kam es sogar vor, dass man eine Entschädigung bekam, die dann als neue Lebensgrundlage diente.
Es gab hier Schichten, die notgedrungen in „der Partei“ waren, also passive Mitglieder, aber sie waren eben in der Partei. Hingegen gab es auch Schichten, die aktiv waren und Wiedergutmachung leisten mussten. Diese wurden dann zu minderen Arbeiten herangezogen, wie Grabungen oder Toiletten sauber machen.
Die Passiven, von denen man die Identität kannte, wurden niemals zur Rechenschaft gezogen, weil sie nur notgedrungen Parteimitglieder waren.

Stefan: Und wie viele waren dann direkt von der Entnazifizierung betroffen?

Herr Fischer: Genaue Zahlen weiß ich nicht, aber es war nicht ganz so extrem.

Jan: Um auf den Austrittsantrag zurück zu kommen. Da ja alle Dokumente von den Nazis am Ende des Krieges verbrannt wurden, konnte man ja auch falsche Angaben machen, oder nicht?

Herr Fischer: Nein, das war kaum möglich, da man sich hier in der Stadt gut kannte und man wusste, inwiefern andere zu der Ideologie standen.
Und es war so, diejenigen, die sich nicht entnazifizieren wollten, oder falsche Angeben gemacht hatten, machten damit eine Bauchlandung, weil es gravierende Konsequenzen mit sich zog.
Diejenigen, die nie aktiv in Erscheinung traten, fiel es später leicht. Andere aktive Mitglieder hatten an ihrer Vergangenheit schon zu kauen!

Steffen: Wie beurteilen Sie die persönliche Strafen für die aktiven Parteimitglieder, die noch viele Jahre danach damit zu kämpfen hatten?

Herr Fischer: Schwer zu sagen. Diejenigen die damals aktiv waren, hatten ja dadurch auch ihre Vorteile gezogen, von dem her war es teilweise schon gerecht.

Stefan: Gab es hier in Wangen denn auch jüdische Geschäfte?

Herr Fischer: Sicher gab es die, bis eben die „braune Welle“ auf uns zukam. Sie waren auch angesehene Bürger hier in Wangen, bis wir alle von dieser Ideologie geblendet wurden. Und es dauerte auch nicht lang, bis die Juden dann ausgegrenzt wurden, weil ja jeder wusste, wer zu dieser Gruppe gehörte.

Jan: Ich kann mir irgendwie in der heutigen Zeit nicht ganz vorstellen, wie schnell solch eine Ideologie von den Leuten angenommen wird. Wie kann man zum Beispiel über Nacht die Leute dazu bringen, gegen Juden zu sein?

Herr Fischer: Es wurde uns einfach von oben aufgedrückt und auch vieles danach ausgerichtet, wie in Vereinen beispielsweise. Auch wurde man gleich als „Staatsfeind“ gesehen, wenn man nicht bei Aufmärschen erschien oder nicht zu Kundgebungen ging.
Zudem gab es ja Gruppen wie die HJ in denen, vielleicht auch unbewusst, den Jungen eingetrichtert wurde dieser Ideologie nachzueifern.

Jan: Wenn Sie heute an die NS Zeit zurück denken, sehen Sie dann alles nur negativ?

Herr Fischer: Ich habe das Ganze ja nicht so intensiv miterlebt, weshalb ich das nicht so genau beurteilen kann. Aber ich habe auch mitbekommen, dass Verwandte einfach nicht mehr nach Hause aus dem Krieg kamen und das hat mich natürlich zum Denken angeregt.
Die Zeit, die ich mitbekommen habe war eher die nach dem Krieg, welche mich auch durch viele einschneidende Erlebnisse geprägt hat.

Steffen: Wir bedanken uns ganz herzlich für das Gespräch und für die Zeit, die Sie sich genommen haben.

Herr Fischer: Gern geschehen und Ihnen noch viel Erfolg.




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