Juden in Wangen


Wenn man die Geschichtsschreibung über das Dritte Reich beachtet, dann stellt man fest, dass das Hauptaugenmerk auf der Judenverfolgung – dem Holocaust – liegt. Dies ist ein weiterer Grund die Situation speziell in Wangen näher zu betrachten.
Die Angaben über die bis 1933 in Wangen lebenden Juden liegen zwischen 11 und 14 Personen. Wohl die bekanntesten Wangener Juden waren die Familie Stern, die ein Konfektionsgeschäft am Postplatz besaß, die Familie Dahlberg-Lehmann mit einem Textilgeschäft in der Gegenbaurstraße, sowie die Familie des Viehhändlers Martin Lindauer. Da es in Wangen kein Versammlungshaus für die Juden gab, mussten sich diese für eine Teilnahme am religiösen Leben nach Bad Buchau begeben.



Maßnahmen gegen jüdische Geschäftsleute



Im ganzen Reich wurde bereits kurz nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten dazu aufgerufen, keine Geschäft mit Juden mehr zu tätigen. In Wangen gab es dazu am 1. April 1933 eine SA-Kundgebung auf dem Marktplatz. Dies war jedoch nur der Anfang, schon einen Tag später wurden vor allen jüdischen Geschäften SA-Posten aufgestellt, die die Menschen davon abhalten sollten bei den Juden einzukaufen. Zusätzlich wurden auch noch Plakate mit entsprechenden Losungen in den jüdischen Geschäften und am Rathaus aufgestellt. Ferner wurde jeder, der in einem jüdischen Geschäft einkaufen ging, fotografiert und im sogenannten „Stürmer“-Kasten“ bekannt gemacht. In Wangen hing er am damaligen Arbeitsamt und zeigte laut „Verbo Argen-Boten NAT“ vom 9. September 1935 „interessante Aufnahmen von Volksgenossen, die in hiesigen jüdischen Geschäftshäusern eingekauft haben und sich dabei wohl zum großen Teil nicht bewusst waren, welches volksschädigende Verhalten sie dadurch an den Tag legten.“ Diese Propaganda wurde auch in den Zeitungen noch mit Anzeigen verstärkt, die dazu aufforderten nicht bei Juden einzukaufen. Um endgültig einen Erfolg bei den antisemitischen Bemühungen zu erzielen, wurden alle Wangener Geschäftsleute und Handwerker aufgefordert, keine Geschäftsbeziehungen mit Juden zu unterhalten, da ihnen sonst Ausschluss von städtischen Aufträgen drohe.



Der Betrieb des Viehbauern Martin Lindauer



Insbesondere auf dem Land hatte die antisemitische Propaganda anfangs nur wenig Erfolg, weshalb die Nazis nun mit Gesetzen versuchten, die Juden aus ihren Geschäften zu treiben. So wurden selbst treuste Kunden damit verschreckt, dass bei Juden gekauftes Vieh von der Viehversicherung ausgeschlossen wurde. Endgültig besiegelt wurde der Untergang der jüdischen Viehhändler durch ein neues Gesetz – Viehhandlungen, deren Betriebsleiter nicht die erforderliche sachliche und persönliche Eignung mitbringen, sollte die Zulassung entzogen werden. Damit war auch der beliebten und geachteten Familie von Martin Lindauer die Einkommensgrundlage genommen.
Da Martin Lindauer, der bereits 1935 wegen Kritik an SS-Angehörigen und angeblich unwahrer Behauptungen in Schutzhaft war, entschloss sich darauf in Luxemburg Asyl zu suchen. Am 20. Oktober 1938 berichtete der „Verbo Argenbote NAT“ mit folgendem Artikel darüber:





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Von seinem Exil in Luxemburg musste Martin Lindauer noch mal nach Wangen zurückkehren um den Verkauf seines Besitzes zu regeln und weil ihn die Sehnsucht nach seiner Heimatstadt schmerzte. Einem alten Freund war allerdings zu Ohren gekommen, welch Risiko sich damit verband und dass die Gestapo Lindauer verhaften wolle. Lindauer bat nun Hugo Sigerist, als seinen alten Freund, um Hilfe. Dieser schaffte ihn an die schweizerische Grenze und verhalf ihm damit zur Flucht. Dabei nahm auch Sigerist ein hohes Risiko in Kauf, denn auf die Beihilfe zur Flucht waren hohe Strafen ausgesetzt.



Die Reichspogromnacht und das Schicksal der Familie Dahlberg-Lehman



Auch in Wangen kam es in dieser Nacht, auch Reichskristallnacht genannt, zu einem Zwischenfall. Drei Mitglieder der Wangener SA warfen am Kaufhaus Dahlberg die Scheiben ein. Kurz darauf wurde auch die Familie vorübergehend in Haft genommen, Werner Dahlmann kam erst nach mehren Tagen frei, als er versprach Deutschland zusammen mit seiner Familie zu verlassen. So wurde dann auch das Gebäude weit unter Wert an die Stadt Wangen verkauft, was in der Lokalpresse mit in der Presse mit folgenden Worten gefeiert wurde: „Wie wir erfahren, ist vor kurzem das Geschäftshaus der jüdischen Familie Dahlberg-Lehmann in den Besitz der Stadt übergegangen. Damit verschwindet der letzte jüdische Geschäfts- und Hausbesitz in Wangen.“



Jüdische Mischehen in Wangen



Während des gesamten Dritten Reiches konnte sich die Stadt Wangen nie mit dem Prädikat „judenfrei“ zu sein schmücken. Dies lag an zwei Frauen, die hier in Mischehen mit Ariern lebten, auch nachdem alle anderen Juden die Stadt verlassen hatten. Aber beide mussten in ständiger Angst vor Gestapo und SS leben, da bekannt war, dass die Nationalsozialisten auch gegen sie vorgehen wollten. Beide Frauen verdanken ihr Überleben jeweils einem ärztlichen Attest, was ihnen Transportunfähigkeit bescheinigte.



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