Die NSDAP

Inhaltsverzeichnis




1. Einleitung

2. Der Aufstieg der NSDAP (bis 1932)

2.1. Die 5 Perioden der Frühgeschichte der NSDAP in Eutin

2.2. Gründe für den schnellen Aufstieg in der Kleinstadt Eutin

2.3. Wahlen, Wähler, Wahlmethoden (Propaganda)

3. Die Herrschaftssicherung und Gleichschaltungs-
politik (nach 1932)

3.1. Die Politik der NSDAP

3.2. Die Gegner der NSDAP

4. Die soziale Zusammensetzung der NSDAP in Eutin

4.1. Die Mitglieder der Ortsgruppe Eutin

4.1.1. Die berufliche Struktur

4.1.2. Das Alter der Mitglieder

4.1.3. Die Geburtsorte

4.1.4. Der Zeitpunkt des Eintritts

4.1.5. Mitgliederfluktuation

4.2. Das Führungskorps der Ortsgruppe Eutin

4.2.1. Die berufliche Struktur

4.2.2. Das Alter der „Führung"

4.2.3. Geburtsorte

5. Fazit: Wer ist die NSDAP in Eutin?

6. Quellen- und Literaturverzeichnis

7. Fußnoten



Einleitung



In unseren Ausführungen zum Aufstieg der NSDAP in Eutin konzentrieren wir uns auf die Herrschaftssicherung und Gleichschaltungspolitik und auf die soziale Zusammensetzung der Partei.
Die von uns verwendeten Informationen stammen vor allem aus den beiden Werken „Meine kleine Stadt steht für tausend andere...“ (2004) und „Kleinstadt und Nationalsozialismus“ (1984) von Lawrence D. Stokes.
Einleitend muss man sagen, dass es in der Eutiner Zeitgeschichte zum Teil unbeleuchtete Felder gibt, viele Akten und Dokumente kamen nach Kriegsende abhanden, viele sind deshalb heute nicht mehr vollständig.
Deshalb ist es trotz der Zuhilfenahme von Stokes umfangreichen Werken schwierig, zum Beispiel Genaueres über die Mitglieder der NSDAP zu ermitteln.

Heute ist für uns unvorstellbar, dass in unserer Kleinstadt Eutin ebenso wie in anderen Städten Deutschlands der Nationalsozialismus herrschte. Und noch unvorstellbarer ist die Tatsache, dass die NSDAP hier bereits viel früher an die Macht kam als anderswo, dass die Eutiner Bevölkerung so anfällig für die Propaganda der Hitlerpartei war.


Aufstieg der NSDAP




2.1. Die 5 Perioden der Frühgeschichte

Den Aufstieg der NSDAP in Eutin kann man nach L.D. Stokes in fünf grundlegende Perioden einteilen.
Die erste Periode begann 1924 mit der ersten Kandidatur der NSDAP in Lübeck, die jedoch vergeblich war. Trotzdem wurde im Mai 1925 in Eutin eine Ortsgruppe gegründet. Bereits ein Jahr später, im Mai 1926, hielt Hitler persönlich eine Rede in dieser Kleinstadt. Die erste Periode endet mit den Reichstagswahlen und Wahlen zum oldenburgischen Landtag (20. Mai 1928).
Die zweite Periode knüpft direkt an die erste an und schließt bereits im Dezember 1929 mit dem Abstimmungskampf der NSDAP gegen den Young-Plan (zur Regelung der deutschen Reparationszahlungen).
Die dritte Periode umschließt drei Wahlen: die Landtagswahl am 14.September, die Wahl zum Stadtrat am 23. November und die Wahl zum Landesausschuss am 30. November 1930. Außerdem kam es in Eutin zu ersten politischen Gewalttätigkeiten. So gab es während der Wahlrede des sozialdemokratischen Zeitungsredakteurs Dr. Julius Leber eine wüste Saalschlacht zwischen Anhängern der SA und des „Reichsbanners" und einen Tag später einen Überfall von Nazis auf einen Landtagsabgeordneten der SPD auf dem Marktplatz.
Die Landtagswahl vom Mai 1931 (47.5% für NSDAP in Eutin) zählt bereits zur vierten Periode. Auch hier kam es wieder zu politischen Auseinandersetzungen zwischen NSDAP und SPD, jedoch aufgrund eines tragischen Anlasses, nämlich der Tötung des SS-Mannes Karl Radke (1) während eines Straßenkampfes durch – so wird vermutet - einen Anhänger des „Reichsbanners", viel intensiver. Im Mai 1931 hielt Hitler in Eutin seine zweite Rede.
Während der fünften und letzten Periode wurden mehrere Wahlkampagnen ausgetragen: die Wahl zur Reichspräsidentenschaft am 13. März und 10. April 1932 und jene zur Auflösung des oldenburgischen Landtags zwischen Dezember 1931 und April 1932. Den Höhepunkt bildete aber die Landtagswahl am 29.Mai 1932, nach der der Freistaat Oldenburg und der Landesteil Lübeck eine nationalsozialistische Regierung erhielten und die NSDAP in Eutin nun vollends zur Macht aufgestiegen war.
Genau betrachtet ist die vierte Periode die entscheidende Phase des Aufstiegs der nationalsozialistischen Partei in Eutin, da die SPD aufgrund des Falls Radke nun als Gegner ausgeschaltet war.


2.2. Gründe für den schnellen Aufstieg in der Kleinstadt Eutin (2)

Um die Gründe für den schnellen Aufstieg der Partei im kleinstädtischen Eutin zu erläutern, muss man zuerst die Zustände in Eutin vor der NSDAP-Regierung nennen, die zu einer bereitwilligen Aufnahme der nationalsozialistischen Propaganda geführt haben.
Eutin hatte eine Bevölkerung von ca. 7200 Einwohner, das waren 1000 mehr als 1919. 1929 waren 93 % der Bevölkerung evangelischen Glaubens, der Rest katholisch oder konfessionslos; Juden lebten kaum in Eutin, also waren nur Wenige von der aggressiven Politik der Nazis betroffen.
Volkswirtschaftlich betrachtet gab es wenig Industrie in Eutin, sodass neben dem politischen Katholizismus (Zentrum) eine Industriearbeiterschaft als eine der wichtigsten Gegenkräfte zur Hitlerbewegung fehlte.
Es gab insgesamt um die 1000 Schüler auf verschiedenen schulischen Einrichtungen.
Die Bevölkerung war beruflich so zusammengesetzt, dass der Mittelstand (ca. 1/3) deutlich überwog. Die Arbeiterschaft war nur halb so groß. 45% der Gesamtbevölkerung waren berufslose Ehefrauen und Rentner.
Zusammenfassend kann man Eutin als Schul-, Rentner- und Beamtenstadt oder als Stadt des kleineren Mittelstandes bezeichnen. (3)

All diese Faktoren, vor allem die gesellschaftliche und konfessionelle Zusammensetzung, machten die Eutiner anfällig für NSDAP-Parolen, besonders der Mittelstand war dafür empfänglich. Daneben war auch die geografische Lage ideal, denn die NSDAP galt als Partei der norddeutschen, vor allem ländlichen und kleinstädtischen Gebiete Deutschlands, da nach der Neugründung 1925 die Partei im Norden viel schneller gewachsen war als im Süden.
Die NSDAP gab vor, vor allem die Interessen des Mittelstandes zu vertreten und traf daher in der durch den Mittelstand geprägten Stadt auf breite Zustimmung der Bevölkerung.
Es gab aber auch besondere Gönner der NSDAP, zum Beispiel die Edeka-Einkaufsgenossenschaft als Vertreterin der kleineren Kaufleute, die ebenso wie die NSDAP sozialdemokratische Konsumvereine und Warenhäuser bekämpfte.
Auch die Pastoren der Eutiner Landeskirche waren der NSDAP gegenüber nicht abgeneigt, ebenso wenig wie die Deutschnationalen, die ähnliche Ansichten wie die NSDAP vertrat (antisemitisch, antirepublikanisch, antiparlamentarisch, antidemokratisch). Sogar die Evangelische Kirche war offen für die neue Weltanschauung der Nationalsozialisten.
Der NSDAP dienlich war die oben schon erwähnte Tötung Karl Radkes (eines SS-Mannes) am 9. November 1931 beim Umzug zur Feier der Revolution von 1918.(4) In diesem Zusammenhang wurde mit der SPD einer der Hauptgegner der NSDAP ausgeschaltet.
Böhmcker (SA-Führer) und Saalfeldt (Ortsgruppen- und Kreisleiter), zwei wichtige Anhänger der NSDAP, waren die beiden am politisch aktivsten Gestalten in Eutin. Sie bildeten als fähige Organisatoren ein einmaliges Führungsgespann in Eutin und sorgten für das ständige Wachstum der Partei. Überhaupt waren die Mitglieder der NSDAP die am politisch aktivste Gruppe.

Die Ortsgruppe der NSDAP veranstaltete mehr Versammlungen und Umzüge als ihre Gegner (40% aller Versammlungen zwischen März 1931 und Mai 1933 wurden allein von der NSDAP durchgeführt), viele prominente Redner der Hitlerbewegung sowie führende Vertreter (u.a. Goebbels, einige Gauleiter) und vor allem Hitler selbst (Mai 1926 und Mai 1931) erschienen in der Stadt und hielten Reden.
Die Wirtschaftskrise in Deutschland (ab 1929/30) hatte auch in Eutin Nebenwirkungen für die Bevölkerung und trug zur Machtübernahme der NSDAP bei, da die NSDAP Arbeitsbeschaffungsprojekte versprach und so die Bereitschaft zeigte, das Hauptproblem der deutschen Wirtschaftspolitik, nämlich die hohe Arbeitslosigkeit, energisch zu bekämpfen.
Und natürlich waren die Wahlversprechen ein weiterer Faktor. So sollte es keine neuen Steuern unter Hitler geben. Wenn der Versailler Vertrag aufgekündigt wäre, müssten keine Steuern mehr für die Reparationen mehr aufgebracht werden. Dass jedoch alle Steuern wegen des Versailler Vertrages gebraucht wurden, war eine schlichte Behauptung und ein mit Absicht unklar gehaltenes Argument.
Am stärksten führten wohl die wirtschaftlichen Hoffnungen der Eutiner Bevölkerung (z.B. eine Steuerpause) zu dem schnellen Aufstieg der Partei.


2.3. Wahlen, Wähler, Wahlmethoden (Propaganda)

Zwischen 1919 und der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler 1933 kann man eine enorme Steigerung der Wählerstimmen feststellen.
Bei der Wahl zur verfassungsgebenden Nationalversammlung 1919 war die NSDAP noch gar nicht vertreten, die Weimarer Koalition (Demokraten, Zentrum, SPD) erhielt in Eutin zusammen über 70% der abgegebenen Stimmen, mit der „Deutschen Volkspartei" Gustav Stresemanns sogar 78%; die Konservativen Deutschnationalen erhielten 22%. Die erste Teilnahme der NSDAP beim ersten Wahlgang zur Reichspräsidentenschaft 1925 fiel mit nur 28 Stimmen in Eutin für den Kandidaten der NSDAP, General Ludendorff, eher ernüchternd aus.
Bei den Wahlen zum Reichstag und zum oldenburgischen Landtag im Mai 1928 erhielt die NSDAP auf Stadtebene 150 bzw. 220 Stimmen. Das waren nur 4 bis 6%, aber das Doppelte des Reichsdurchschnitts. Danach war der Aufstieg der NSDAP erstaunlich.
So stimmten dem Volksbegehren gegen den Young-Plan vom Herbst 1929 (zur Regelung der deutschen Reparationslasten, veranstaltet von der DNVP, dem „Stahlhelm" und der NSDAP) fast 34% der Bevölkerung zu, der gesamte Reichsdurchschnitt betrug zum Vergleich weniger als 14 %. Ende 1930 erlangte die NSDAP bei der Wahl zum Landesausschuss (Kreistag) die absolute Mehrheit. Auch Hitler fand in der Eutiner Bevölkerung große Zustimmung: Im April 1932 stimmten 55% der Eutiner hinsichtlich der Kandidatur Hitlers zum Reichskanzler mit „ja".
Am wichtigsten ist aber wohl die Wahl zum oldenburgischen Landtag im Mai 1932, bei der 24 der 46 Sitze an die NSDAP gingen. So erhielt Eutin bereits vor dem gesamten Deutschen Reich eine nationalsozialistische Regierung.
Bei der Reichstagswahl am 31. Juli 1932 und den Reichstagswahlen im März 1933 war die NSDAP der Hauptgewinner, die SPD und die übrigen verfassungstreuen Parteien verloren in Eutin an Stimmen, nur die DNVP konnte einen durchschnittlichen Stimmenanteil behalten.
Bei der Volksabstimmung anlässlich Deutschlands Austritt aus dem Völkerbund (12. November 1933) stimmten 85% der Eutiner Bevölkerung dieser Maßnahme der NSDAP zu.
Und schließlich stimmten im August 1934 81% der Eutiner der Kandidatur Hitlers zum Nachfolger Hindenburgs zu, trotz des „Röhm-Putsches".
Und am 10. April 1938 bei der Volksabstimmung zur Einverleibung Österreichs ins „Dritte Reich", bei der von 6032 Stimmberechtigten in Eutin 99,5% abgestimmt haben, gab es nur 134 „Nein" - Stimmen.

Zwischen Januar 1919 und März 1933 wurden in Eutin mehr als 30 Wahlen durchgeführt; die Ergebnisse zeigen ein „dramatisches Überschwenken" vieler Wähler von den demokratischen Parteien zum Nationalsozialismus .

Die Hauptzielgruppe der NSDAP – Propaganda waren die arbeitenden Schichten in der „Deutschen Arbeitsfront", denen neue Beschäftigung versprochen wurde. Auch der Mittelstand bildete eine Hauptzielgruppe, denn Eutin galt ja als Stadt des kleineren Mittelstandes, weshalb überwiegend diese Schicht überzeugt werden musste. Aber auch diese Gruppen waren anfällig für die Propaganda der NSDAP: Arbeiter, Hausangestellte, Schüler und Studenten (die zwar erst mit 20 wahlberechtigt waren, aber bereits früher in die Partei eintreten konnten), berufslose Frauen, Arbeitslose, Nationalisten, unselbstständige, jüngere Handwerker und Angestellte ohne Arbeit oder nur mit Teilzeitbeschäftigung, Bauern und kleine Gewerbetreibende, die die Steuerfeindlichkeit der NSDAP schätzten und auf niedrige Steuersätze und das Ende der Pfändung von Produktionsmitteln hofften.
Alle diese Gruppen hatten handfeste wirtschaftliche Hoffnungen in die NSDAP und waren anfällig für das Arbeitsbeschaffungsversprechen der NSDAP.
Es fällt auf, dass die NSDAP als Partei sehr jugendlich war und viele junge Menschen ansprach. Überhaupt hatte es die NSDAP vor allem auf die Jung- bzw. Erstwähler sowie auf die „Nichtwähler" in Eutin abgesehen.
Man kann die NSDAP also hinsichtlich des weiten Wählerspektrums als „Volkspartei" bezeichnen. (5)
Zwischen Juli und November 1932 fiel der Stimmenanteil der NSDAP bei den Reichstagswahlen von 51 auf 43,6%, da die Eutiner Bevölkerung durch Bombenattentate in der Stadt, die Errichtung einer sogenannten „Hilfspolizei", die aber eher der Unterdrückung, Einschüchterung und der ständigen polizeilichen Überwachung auffälliger Bürger diente, eine Vorschau auf die Politik des „Dritten Reiches" bekommen hatte. Wäre diese Wahl eine Landtagswahl gewesen, hätte die Zukunft der NSDAP schlecht ausgesehen. Jedoch fing sich die Partei wieder nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler, wodurch die NSDAP auf Landesebene die Regierung bildete und somit auch die NSDAP in Eutin wieder gestärkt wurde.

Neben den oben genannten Gründen für den schnellen Aufstieg der NSDAP hat sicher auch die unermüdliche Propagandamaschinerie zur Hinwendung der Eutiner Bevölkerung zum Nationalsozialismus beigetragen.
Anlässlich der Wahlen wurden Hakenkreuzfahnen (z.B. am Schloss-Hotel und auf dem Marktplatz), Plakate und andere übliche Wahlmittel in der Stadt in Umlauf gebracht. Es wurden viele Wahlversprechen gemacht, aber vor allem sollte ein großangelegtes Programm der Arbeitsbeschaffung die Wähler überzeugen.
Überall hörte man oft antisemitische und Ausländer feindliche Parolen. Außerdem wurde in solchen Parolen meistens der Versailler Vertrag und die „rote" Regierung für die Misere Deutschlands verantwortlich gemacht, vor allem national eingestellte Wähler waren von dieser Auslegung der Schuldfrage beeindruckt.
Allerdings gab es viele Verschleierungen in solchen Reden, zum Beispiel wurde behauptet, alle Steuereinnahmen würden für die Erfüllung des Versailler Vertrages verbraucht (tatsächlich waren die Steuern auch nach dem Bruch des Versailler Vertrages noch hoch, eine erhoffte Steuerpause blieb auch aus).
Sogar die Predigten in der Kirche hatten einen Hauch von Antisemitismus, wenn auch nicht so deutlich wie bei den NS - Parolen. Aber so wurden die Leute sogar in der Kirche mit einem Aspekt der NS-Propaganda konfrontiert.

Ihre Propagandatätigkeit setzte die NSDAP das ganze Jahr über durch, da genügend Mittel zur Verfügung standen. Wie in 1.2. schon erwähnt, trat die NSDAP außerdem öfter in die Öffentlichkeit als ihre Gegner. Es gab sogar eine Propagandafahrt der NSDAP in Form einer Motorstaffelfahrt durch die Provinz Lübeck. (8) Überhaupt wurden Propagandamärsche veranstaltet.
Zusätzlich wurden zahlreiche Reden gehalten, u. a. im Schloss-Hotel; manchmal erschienen sogar Redner aus der Elite der NSDAP wie Goebbels.

Im Mai 1926 und 1931 hielt sogar Hitler eine Rede. Zu diesem Zweck ließ man extra eine Großlautsprecheranlage aus Hamburg kommen. Immer stand Hitler im Mittelpunkt des Geschehens, als der Retter des deutschen Volkes vor dem Versailler Vertrag. So wurde auch in Eutin ein wahrer Hitlerkult entwickelt.

Hitler hatte in Preußen und den Hansestädten Deutschlands Redeverbot, nur in diesem Teil des Landes Oldenburg wurde ihm ein Auftritt gestattet. Hitler selbst sagte Folgendes darüber:

…Wie komisch dieses Deutschland ist, nur ein Beispiel: Oldenburg besteht aus zwei Teilen, dem eigentlichen Oldenburg und Eutin in Holstein. In dem einen Teil ist meine Tätigkeit staatsgefährlich, im anderen Teil, in Eutin, nicht. Dort darf ich reden. (Heiterkeit.) Ich muss mich da fragen, faßt man das alles als Spott oder Spaß auf ? [...] (9)

Trotz des Redeverbots gelang es Hitler jedoch, auch auf Reichsebene an Popularität zu gewinnen. Er verstand es, auf die Massen zuzugehen, und traf in seinen Reden den Nerv der Zuhörer. Er wurde omni – präsent, indem er eine aktive Propagandamaschinerie einsetzte. Seine Reden waren wie eine Art Volksfest. Kein Wunder also, dass er auf die Eutiner Bevölkerung ebenfalls einen großen Eindruck machte. Rednerische Auftritte waren sowieso ein großes Ereignis in der Kleinstadt und wenn Hitler persönlich erschien, kamen sogar Leute von außerhalb Eutins.
Beide Reden Hitlers wurden im Anzeiger für das Fürstentum Lübeck (AFL) am 15. Mai 1926 bzw. am 8. Mai 1931 abgedruckt. Ich betrachte im Folgenden die Rede vom 15.Mai 1926 (10).
Die Hauptzielgruppe der Rede sind die Arbeiter, die unteren Schichten, das Proletariat, jene, die „nichts zu verlieren und alles zu gewinnen" hätten. Die oberen Schichten seien durch ihren Besitz, geistigen und materiellen, gebunden und ihr Geist werde gehemmt. Deshalb könne nur die „breiteste Masse" den nationalen Gedanken wirklich ausführen. Der nationale Gedanke ist auch der Hauptgegenstand der Rede.
Hitler spricht zuerst die von Armut und Arbeitslosigkeit geprägte Situation in Deutschland an, ein nach seinen Worten „jammerhafter Zustand", mit dem keiner zufrieden sein könne. Er kritisiert die „Erfüllungspolitik" der Weimarer Regierung und verwendet den Begriff „Fremdregierung", womit wohl die Siegermächte gemeint sein sollen. Er argumentiert, dass die Flagge ein einheitliches Symbol für die Würde des Volkes sein sollte, aber Deutschland seine Würde durch den ständigen Wechsel der Flagge lächerlich gemacht habe vor den Ländern mit einer Nationalflagge.
Deutschland sei wie ein Sklave, der nur noch für andere arbeite. Es sei ohne „Brot, Freiheit und Würde" und „kein souveräner Staat mehr".
Das deutsche Volk sei gespalten in die international Denkenden und die national - monarchistischen, aber beide Richtungen seien gescheitert. Der nationale Gedanke habe sich nicht durchsetzen können, das Volk habe durch das Besitzbürgertum nicht „umgekrempelt" werden können. Das sei die Ursache für die Schwäche Deutschlands.
Die Schuld dafür sieht Hitler aber nicht bei den unteren Schichten, im Gegenteil verherrlicht er den mutigen, mittellosen Soldaten, der trotz seiner Not für das Vaterland gekämpft habe, den „deutschen Mann der Arbeit". Überhaupt habe die „breiteste Masse" den nationalen Gedanken tragen müssen, was aber nicht geschehen sei, da er ihr nicht richtig übermittelt worden sei. Der nationale Gedanke sei deshalb gescheitert.
Die unteren Schichten besaßen in Hitlers Rhetorik einen hohen Stellenwert, denn er äußert sich in seiner Rede folgendermaßen: „Wehe dem Volke, dessen untere Schichten verkümmern!". Das Volkswohl sei dem Wirtschaftsgedanken geopfert worden.
Sowohl die Linken als auch die Rechten hätten versagt: Die Linken seien gegen den Kapitalismus, den „Kaiserismus" und den Militarismus gewesen, hätten jedoch dem internationalen Kapital aufgeholfen; Hitler hält hier jedoch am Eigentumsrecht und somit auch am Kapitalismus fest. Der Sozialismus habe in seinen Augen versagt. Hitler selbst sieht den Militarismus als „die organisierte Volkskraft des Landes zum Zwecke der Verteidigung", erst der „Mißbrauch des Heeres gegen die Lebensinteressen des Volkes" sei abzulehnen. Damit verteidigt Hitler quasi den Militarismus. Übrigens war Hitler der Ansicht, dass „nur das Schicksal, der Kampf, ein Land einigen kann". Also legte er es offensichtlich bereits hier auf einen Krieg an.
Auf der Erkenntnis beruhend, dass bisher alle Richtungen gescheitert seien, sei nun der Nationalsozialismus entstanden, mit dem Ziel der Genesung Deutschlands und um die Schande des Reiches zu beheben. Er bezeichnet den Nationalsozialismus als „neuen politischen Glauben" mit einem „Übermaß an Willen". Der nationalsozialistische Gedanke beruhe auf dem Glauben an die soziale Gerechtigkeit und auf dem Willen zur nationalen Freiheit. Wenn sich das gesamte Volk an diese Grundsätze halte, könne das „Joch der Knechtschaft" beendet werden. Der Nationalsozialismus sei die einzige Rettung für Deutschland. Es solle ein neues Reich entstehen mit der Hakenkreuzflagge als Symbol. Die rote Farbe sei die „Farbe der eisernen Gerechtigkeit", weiß stelle die „heilige nationale Begeisterung" dar und
das Hakenkreuz sei das „Zeichen der Arbeit". Nun stünden das "Übermaß von Feigheit und Schlechtigkeit", die Merkmale der Weimarer Republik, die „feige" der „Erfüllungspolitik" nachkomme, dem „Übermaß von Heldenmut und Freiheit", den Grundsätzen des Nationalsozialismus, gegenüber.
Diese Rede hat Eindruck auf die Zuhörer gemacht. Vor allem national Eingestellte waren sicherlich von dem nationalen Gedanken, den Hitler hier immer wieder anspricht, und von Hitlers Schuldzuweisung an die alte Regierung, die „Erfüllungspolitiker", begeistert.
Besonders die Arbeiter wurden sehr positiv in Hitlers Rede hervorgehoben. Und das Thema Arbeit war zu der Zeit (1926) ein sehr empfindlicher Punkt, da auch in Eutin Arbeitslosigkeit vorkam. Kein Wunder also, dass sie dieses Thema ansprach.
Eutin war überwiegend geprägt durch den Mittelstand. Dessen Vertreter fanden es sicherlich gut, dass Hitler nicht den unteren Schichten die Schuld am fehlenden Nationalgedanken gab, sondern eher den besitzenden Schichten, die einfach nicht in der Lage gewesen seien, diesen Gedanken zu vermitteln.
Heute wissen wir, womit der Nationalsozialismus geendet hat. Aber für die Menschen damals war es vermutlich gar nicht so abwegig zu meinen, dass dieser „neue politische Glaube" Deutschlands Probleme lösen könnte. Und man darf nicht vergessen, dass große Teile der deutschen Bevölkerung sich Hitlers Bewegung anschlossen, weil er ein überaus überzeugender Redner war.
Man muss zu Hitlers Reden in Eutin jedoch sagen, dass sie, obwohl sie ein wichtiges Propagandamittel waren, nicht zu einem explosionsartigen Anstieg an NSDAP-Mitgliedern führten. (11)

Die Propaganda der NSDAP sollte zuerst hauptsächlich die Arbeiter erreichen, immerhin verstand sich die NSDAP ja als Arbeiterpartei. Später aber zielte die Partei auch auf die national-konservativen Wähler, um die Anhänger der DNVP auf ihre Seite zu ziehen und damit die bürgerliche Elite der Stadt.
Verbunden mit der Ausrichtung der Propaganda war der Eintritt von Menschen verschiedener Schichten der Eutiner Bevölkerung in die NSDAP (siehe 4. Die soziale Zusammensetzung der NSDAP).


Hier sind zwei Wahlplakate der NSDAP, die auch in Eutin verwendet wurden:





links:
Hitler
Wahlplakat der NSDAP zur
Reichspräsidentenwahl
Entwurf: Hans Herbert Schweitzer
Offsetdruck
1932
DHM, Berlin
P 62/1058 (6)

rechts:
Unsere letzte Hoffnung: Hitler
Wahlplakat der NSDAP
Entwurf: Mjölnir
1932
Farblithographie
DHM, Berlin
P 57/1787





Die Herrschaftssicherung und Gleichschaltungspolitik



3.1. Die Politik der NSDAP in Eutin

Ab 1932 stellte die NSDAP in Eutin mit Böhmcker als Präsidenten die Regierung. Damit war in Eutin die NSDAP früher an der Macht als auf der Reichsebene. Jetzt, wo die NSDAP die Regierung übernommen hatte, musste sie ihre Herrschaft sichern.
Deshalb kann man die Zeit ab 1932 als Phase der Herrschaftssicherung bezeichnen.
Die Politik der NSDAP ging in zwei Hauptrichtungen:
Regierungspräsident Böhmcker wollte die wirtschaftliche Genesung des Landesteils Lübecks erreichen. Als Mittel dienten ihm Einrichtungen wie der „Freiwillige Arbeitsdienst“ und das Arbeitsbeschaffungsprogramm, das eine Vorausdeutung auf die künftige Wirtschaftspolitik der NSDAP war. Es war ein „Drittes Reich im Miniaturformat", ein „Modell für die Zukunft". (12)
Aber es gab auch eine Kehrseite: Die anderen Parteien und allgemein Andersdenkende wurden unterdrückt. Es war ein Vorgriff auf den „Gleichschaltungsprozess", bei dem nackte Gewalt gegen Feinde angewandt wurde.
Eutin entwickelte sich sogar zum Zufluchtsort für Nazi-Sprengstoffattentäter, die aus allen Gegenden Norddeutschlands kamen. 1933 wurde ein Schutzhaftlager (mitten in der Stadt im Amtsgerichtsgefängnis, dann auch u.a. in Ahrensbök) zur Bekämpfung des Widerstandes durch Terror errichtet, das bis Mai 1934 bestand.(13)
Die Jahre 1934 und 1935 kann man mit den Begriffen „Anpassung“ und „Verfolgung" beschreiben. (14 ) Entweder man akzeptierte die NSDAP und ihre Ideologie, oder man wurde verfolgt und inhaftiert.
In Eutin fand die Phase der Gleichschaltung und der Errichtung der Diktatur wie überall statt. Alle anderen Parteien wurden durch das „Gesetz gegen die Neubildung der Parteien“ verboten, aber auch gänzlich unpolitische Organisationen wie die „Freiwillige Feuerwehr“ wurden entweder aufgelöst oder gleichgeschaltet (erhielten nationalsozialistische Vorstände). (15)
Am 7.April 1933 trat das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" auf Reichsebene in Kraft, laut dem Richter und Beamte, die „nichtarisch“ waren (vornehmlich die Juden sollten aus Führungspositionen vertrieben werden, aber in Eutin gab es ja wenige Juden), aber auch „politisch unzuverlässige“ Personen, also Anhänger der anderen Parteien (SPD, DNVP, Zentrum, Demokraten), aus dem Dienst entfernt werden dürften. Tatsächlich waren auch in Eutin mehrere Menschen, u. a. zwei „nichtarische“ Lehrer, von diesem Gesetz betroffen.
Die Bevölkerung reagierte mit Loyalitätsbeteuerungen gegenüber der NSDAP, was man wiederum als Anpassung sehen kann. (16)
Es traten auch Gesetze wie die „Nürnberger Rassengesetzgebung“, von der ca. ein Dutzend Eutiner betroffen war, oder das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses", das die Sterilisation mehrerer Bürger vorsah, in Kraft.

Diese unmenschliche Rassenpolitik beeinflusste nicht wirklich die Haltung der Bevölkerung zur NSDAP. (17)
Die Polizei und die Regierung duldeten den anschwellenden Antisemitismus in der Stadt ebenso wie wüste Judenbeschimpfungen und Ähnliches.
Aber trotz der Isolierung der Juden äußerte sich der (theoretische) Antisemitismus meist nur verbal, die wenigen Juden in Eutin wurden oft mit Anstand oder sogar Sympathie behandelt. (18)
Auch duldete die Bevölkerung größtenteils die polizeiliche Überwachung auffällig gewordener Bürger.
Die Symbole der Weimarer Republik wurden allesamt zerstört, zum Beispiel wurden die Flaggen - ebenso wie „zersetzende" Literatur (zum Beispiel Bücher Brechts) - verbrannt und den Gedenkstein Friedrich Eberts versenkte man im See.
Die Nationalsozialisten bauten die Organe und Methoden der Repression (Gestapo, Geld- und Gefängnisstrafen) immer weiter aus, um auch wirklich jegliche Opposition auszuschalten oder zumindest niederzuhalten.
Die einen wurden verfolgt, die anderen passten sich an, sei es gezwungenermaßen wegen der Einschüchterung durch die Organe der NSDAP oder sei es freiwillig zum Beispiel aufgrund der Arbeitsbeschaffungsmaß-nahmen.
Auch traf die Einführung neuer Gedenktage (u.a. Hitlers Geburtstag), die mit großem Propagandaaufwand betrieben wurden, auf Zustimmung.
Aber am ehesten trug wohl das kontinuierliche Senken der Arbeitslosigkeit zur Beliebtheit der NSDAP in der Bevölkerung bei: 1935 erreichte man in Eutin fast die Vollbeschäftigung.

Die NSDAP verfolgte eine unmenschliche und diktatorische Rassen- und Unterdrückungspolitik. Dennoch gab es 1933 einen sprunghaften Anstieg der NSDAP-Mitglieder, da die Partei durchaus erfolgreiche Maßnahmen hinsichtlich der Verbesserung der Wirtschaftslage ergriff und sich so die Zustimmung der Bevölkerung sicherte.
Umso erstaunlicher ist diese Entwicklung hinsichtlich der vielen Krisen zwischen Ende 1932 und Anfang 1933, zum Beispiel die Konflikte zwischen SA, SS und NSDAP, der Ausschluss Saalfeldts aus der Partei und zunehmender Unmut über die Unfähigkeit und Willkür der Regierung. Dazu kamen akute finanzielle Schwierigkeiten und Korruption unter den Parteimitgliedern. (19)
Damals konnte nur Hitlers Ernennung zum Reichskanzler die NSDAP in Eutin vor dem Ende bewahren.
Doch nun hatte sich die NSDAP in Eutin wieder gefangen und setzte ihre Gleichschaltungspolitik ebenso gnadenlos durch, wie es überall auf der Reichsebene der Fall war, und die Bevölkerung passte sich dem an.


3.2. Die Gegner der NSDAP in Eutin (20)

In Eutin gab es keinen politischen Katholizismus (Zentrum) und keine Industriearbeiterschaft, die als Hauptgegner der NSDAP im Reich gelten.
Der einzige ernstzunehmende Gegner der NSDAP schien die SPD mit dem „Reichsbanner". Diese verloren aber nach der Tötung Radkes die Zustimmung in der Bevölkerung; die Führer des „Reichsbanners" und der SPD mussten die Stadt für mehrere Wochen verlassen, bei den Sozialdemokraten verschwand der Kampfeswille, Resignation machte sich breit.
Danach schien es keine wirklichen Gegner mehr für die NSDAP zu geben, die in den drei Monaten nach Radkes Tod schneller als je zuvor wuchs.

Es wurde alles unternommen, um Oppositionelle auszuschalten. Ein Mittel dafür war die Unterdrückung von Andersdenkenden in anderen Parteien, es erfolgte die Terrorisierung durch die „Hilfspolizei", Bombenattentate und nackte Gewalt (schon vor 1933) blieben nicht aus.
Aber auch nach der Machtübernahme gab es noch Opposition: Abgeordnete der übrigen Parteien im Landtag, der Landesausschuss und der Stadtrat kritisierten die Maßnahmen der neuen Machthaber in Eutin.
Hinsichtlich der Bevölkerung gibt es keine Beweise für die Abkehr von der NSDAP. Wenn überhaupt vorhanden, wurde der Widerstand durch Privatmotive bestimmt, nicht durch politische Überzeugung.
Die Reichsführung bekämpfte nur die Eigenmächtigkeiten der örtlichen Parteileitung, aber sie war begeistert von der Wiederaufrüstungspolitik der NSDAP.
Der „Eutiner Dichterkreis" sowie die Kirchen stellten keine Orte der Opposition dar, sondern sogar eher eine Unterstützung der Partei, solange sie nicht negativ von deren Politik betroffen waren.

Nach Ausschaltung der SPD als Hauptgegner der NSDAP stellte sich die DNVP als eigentlicher Kontrahent heraus, auch wenn sie der dynamischen Hitlerbewegung nichts entgegenzusetzen hatte. Trotz ähnlicher Ansichten (antisemitische, nationalistische Einstellung) gab es zwischen den Eutiner Deutschnationalen und der NSDAP Konflikte, unter anderem nach der Amtsübernahme von Regierungspräsident Böhmcker am 15.7.1932. Immerhin war die DNVP bis zum Aufstieg des Nationalsozialismus die stärkste bürgerliche politische Gruppierung in Eutin. Nun war sie der entschlossenste Gegner der neuen Regierung.
Die DNVP wurde von den Nationalsozialisten unter Druck gesetzt, es erfolgte der Versuch, die Wahlpropaganda der DNVP zu unterbinden. Ihre Mitglieder wurden aus den Führungsposten bei wichtigen Organisationen und aus dem Landbund hinausgedrängt, die Amtsinhaber unter Druck gesetzt.(21)
Dieses Verhalten der NSDAP stieß natürlich auf den Widerstand der DNVP.
Aber auch für die DNVP galt das „Gesetz gegen die Neubildung der Parteien". Nur die NSDAP wurde künftig in Deutschland als Partei zugelassen.


Die soziale Zusammensetzung der NSDAP




4.1. Die Mitglieder der Ortsgruppe Eutin

4.1.1. Die Berufliche Struktur

Um eine Aussage über die berufliche Struktur der NSDAP-Ortsgruppe Eutin machen zu können, werden ihre Mitglieder in elf Haupt- und neun Unterkategorien eingeordnet. Zudem wird eine Unterscheidung in wirtschaftlich Selbstständige und wirtschaftlich Nichtselbstständige vorgenommen.
Die Unterteilung der Berufe in die elf Hauptgruppen wird wie folgt durchgeführt (22):

a) Freie Berufstätige, leitende Angestellte und Beamte
b) Landwirte
c) Kaufleute, Händler, Unternehmer
d) Angestellte
e) Beamte
f) Arbeiter/innen
g) Hausangestellte
h) Schüler, Studenten
i) Rentner/innen
k) Berufslose Frauen

Die Anzahl und der Grad der wirtschaftlichen Selbstständigkeit nimmt hierbei von a) nach k) immer weiter ab.
Um noch präzisere Ergebnisse zu erzielen, wird die Unterteilung der Hauptkategorien „Kaufleute, Händler, Unternehmer (c)“, „Angestellte (d)“, „Beamte (e)“ und „Arbeiter/innen (f)“ in neun Unterkategorien vorgenommen(23):

c) „Kaufleute, Händler, Unternehmer“: Der jeweilige Anteil der Kaufleute, Händler und Unternehmer wird im einzelnen noch einmal betrachtet.
d) „Angestellte“: Die Angestellten werden in „ausgebildete Fachkräfte sowie Personen mit Aufsichtspflichten“ und „einfache Angestellte in Büros und Geschäften“ unterteilt.
e) Die „Beamten“ werden in „Lehrer“ und „Andere“ gegliedert.
f) Es findet zudem eine Unterscheidung der „Arbeiter/innen“ in „ungelernte Arbeiter“ und „Arbeiter mit irgendeiner Fachausbildung“ statt.

Aus Vergleichs- und Kontrollgründen wird die berufliche Zusammensetzung der gesamten wahlberechtigten Bevölkerung Eutins als Kontrollelement hinzugezogen. (24)

Hierzu vorerst eine Übersicht in Diagrammform zu den jeweiligen Anteilen der Ortsgruppenmitglieder bzw. wahlberechtigten Bevölkerung Eutins an den einzelnen Berufskategorien (nur Hauptkategorien):






Abbildung 1: nach: Stokes (2004),S.243: „Tabelle 1: Die Zusammensetzung der NS-Ortsgruppe Eutin nach Berufsangaben, Mai 1932"

Abbildung 2: nach: Stokes (2004), S.244: „Tabelle 2: Die Zusammensetzung der wahlberechtigten Bevölkerung Eutins nach Berufsangaben, September 1930"


Wie man den Diagrammen deutlich entnehmen kann, ist die erste Berufskategorie, die der freien Berufstätigen und leitenden Angestellten und Beamten, im proportionalen Verhältnis zur erwachsenen Bevölkerung in der Ortsgruppe Eutin überrepräsentiert.

In der Berufskategorie b) werden die Landwirte erfasst. In der NSDAP waren sechs Personen, die zwar alle als selbstständig galten, aber von denen über die Hälfte eher bescheidene Ländereien besaß.(25)

Vergleicht man die ersten beiden Berufskategorien (die Mitglieder werden zu 100% als wirtschaftlich selbstständig angesehen) mit ihrem prozentualen Anteil an der wahlberechtigten Bevölkerung Eutins, so ist proportional eine deutliche Überrepräsentation in der Ortsgruppe Eutin zu erkennen.
Diese war in der ersten Berufsgruppe stärker ausgeprägt als in der der Landwirte, trotz der NSDAP-Bemühungen um die „Bauern“. (26)

Untersucht man den Anteil der Kaufleute, Händler und Unternehmer innerhalb der Parteimitglieder der NSDAP in Eutin, so ist auch hier eine deutliche Überrepräsentation in der Partei verglichen mit der Stadtbevölkerung ersichtlich. Mit einem Anteil von 16% an der Ortsgruppe Eutin waren die 37 Kaufleute (davon mindestens 15 selbstständige), 14 Händler und 24 Unternehmer ungefähr „dreimal so häufig“ vertreten. (27)

Berufskategorie d), die Handwerker (Gesellen, Meister und ein Lehrling), machten über 30% der Eutiner Ortsgruppe aus. Sie waren größtenteils nicht wirtschaftlich selbstständig.
Wie man schon den Diagrammen entnehmen kann, gab es ein deutliches Übergewicht an Handwerkern in der beruflichen Struktur der NSDAP Eutin. Es zeigt, dass die NSDAP in Eutin besonders anziehend auf diese Berufsgruppierung gewirkt haben muss.
Wie die Berufskategorien a) bis d) waren auch die Handwerker in der Partei im proportionalen Vergleich mit ihrem Anteil an den Eutiner Wahlberechtigten stark überrepräsentiert. (28)

Der Anteil an wirtschaftlich Selbstständigen in der Ortsgruppe Eutin war sehr hoch. ¼ der Parteimitglieder, auch ein hoher Anteil Handwerker, waren selbstständig, im Vergleich dazu fand man unter den Wahlberechtigten Eutins 12% Selbstständige. Proportional war der Anteil an Selbstständigen in der NSDAP also 2,3-mal höher. (29)

Die Angestellten (e) (leitende Stellen ausgenommen) bildeten die zweitgrößte Berufskategorie der Parteimitglieder.
Addiert man ihren Anteil mit dem der Handwerker, so ergeben sich fast 50%. Beide Gruppen gemeinsam machten also fast die Hälfte der NSDAP in Eutin aus.
Die proportionale Überrepräsentation dieser Berufsgruppe war hier ungefähr doppelt so hoch wie der entsprechende Anteil unter den Abstimmungsberechtigten.
Ein weiteres interessantes Merkmal dieser Gruppierung ist, dass sich auch ein relativ großer Teil von technischen Angestellten und Aufsichtspersonal der National-sozialistischen Partei angeschlossen hatte: Mehr als ¼ der Fachangestellten und Werkmeister waren NSDAP-Mitglieder. (30)

Gruppierung f), die Beamten niedrigen Ranges, waren in der NSDAP eindeutig unterrepräsentiert (2,99% zu 5,66%). Eine Erklärung für diese Entwicklung mag die meist eher liberale Einstellung der betreffenden Beamten sein und demzufolge die Neigung zu liberalen Parteien (DVP,DDP). Das Alter mag auch eine unbedeutende Rolle dabei gespielt haben; da die NSDAP eine jugendliche Partei war, mieden sie „alte Beamte“ lieber. (31)

Die siebte Berufskategorie (g) in der Ortsgruppe Eutin bildeten die Arbeiter und Arbeiterinnen. Sie umfasste 41 einfache und 27 Facharbeiter. Im Verhältnis zu der gesamten wahlberechtigten Bevölkerung Eutins waren die Arbeiter/innen weder über- noch unterrepräsentiert in der Parteimitgliedschaft. Facharbeiter waren aber proportional häufiger in der NSDAP-Mitgliedschaft zu finden als „einfache“. (32)

Aus den bisherigen Untersuchungen ist erkennbar, dass fachlich gut ausgebildete Eutiner (sowohl Facharbeiter als auch technisch ausgebildete Angestellte) eher dazu neigten sich der Ortsgruppe anzuschließen als die entsprechend weniger gut geschulten. (33)

Die Hausangestellten (einschließlich zwei „Haustöchter“) sind mit 15 Mitgliedern, bzw. 3,20% in der NSDAP und insgesamt 110 wahlberechtigten Eutinern, bzw. 5,93% Anteil an der gesamten Eutiner Wählerschaft, in der Ortsgruppe proportional unterrepräsentiert. (34)

Die Schüler und Studenten der Kategorie i) bildeten zusammen 2% der nationalsozialistischen Partei; wahlberechtigt waren etwa doppelt so viele.
Ein richtiger Vergleich ist jedoch schwierig, da das Mindesteintrittsalter in die NSDAP bei 18 Jahren, das Wahlberechtigungsalter jedoch bei 20 Jahren lag.
Zwei der neun Parteimitglieder, die noch zur Schule gingen oder studierten (fast ¼!), war bis zum Mai 1932 noch nicht stimmberechtigt.
Es wird trotzdem geschätzt, dass ca. 20% der Schüler und Studenten nationalsozialistisch gesonnen waren. (35)

Als vorletzte Berufsgruppierung werden die beiden nationalsozialistischen Rentner betrachtet, die im Vergleich zu dem Rentner-Anteil der gesamten erwachsenen Eutiner eindeutig erheblich weniger in der Ortsgruppe vertreten war. Im Verhältnis waren neunmal so viele Rentner unter der Eutiner Stadtbevölkerung. (36)

41 Frauen waren als „berufslos“ in den Reihen der NSDAP eingetragen. Sie hatten einen geringen Anteil von 8,7%, im Gegensatz zu einem Anteil von 40% in der Wählerschaft. Sie waren im proportionalen Verhältnis unterrepräsentiert, ergaben aber gemeinsam mit den berufstätigen Frauen (insgesamt 13,9%) in der Ortsgruppe einen proportional fast doppelt so hohen Frauenanteil wie der der gesamten NSDAP (ca. 7,5%). (37)

Nach der genaueren Betrachtung der einzelnen Berufsgruppierungen innerhalb der Eutiner Ortsgruppe ist eine deutliche Überrepräsentation der Kategorien a), b), c), d) und h) erkennbar („Freie Berufstätige, leitende Angestellte und Beamte“, „Landwirte“, „Kaufleute, Händler, Unternehmer“, Angestellte, Schüler und Studenten).
Der Anteil der Arbeiter/innen entsprach ca. ihrem Anteil unter stimmberechtigten Eutinern.
Beamte, Hausangestellte, Rentner und berufslose Frauen waren in der NSDAP proportional unterrepräsentiert.
Der Frauenanteil der NSDAP in Eutin war jedoch insgesamt höher als der in der gesamten Partei.
Auffällig ist zudem der hohe Anteil an gut ausgebildeten und selbstständigen Mitgliedern, während ungelernte Arbeiter leicht unterrepräsentiert waren. (38)

Der Anteil der eher „proletarischen“ Mitgliedschaft (Hausangestellte, nichtselbstständige Handwerker und gelernte sowie ungelernte Arbeiter) betrug ungefähr 36,5%, der der nicht leitenden Angestellten und Beamten sowie unselbstständigen Kaufleuten 25%.
Die selbstständigen Berufsgruppierungen, d.h. Freiberufliche, Landwirte, selbstständige Handwerker, Händler und Unternehmer machten 25%, also ¼ der Eutiner Ortsgruppe aus.
Diese Zahlen zeigen, dass knapp über die Hälfte der Eutiner NSDAP dem „Mittelstand“ angehörte. Ein proportionaler Vergleich zur Wählerschaft Eutins zeigt, dass diese dort nur halb so stark vertreten war.
Schüler und Studenten, nichtberufliche Frauen und Rentner, also insgesamt „Beschäftigungslose“, machten einen Anteil von 11% in der Partei, aber 45% in der erwachsenen Eutiner Bevölkerung aus. (39)

Die Ortsgruppe an sich wurde von bürgerlichen Mitgliedern geprägt, im Hinblick auf die wirtschaftliche Lage oder die „gesellschaftliche Mentalität“. (40)


4.1.2. Das Alter der Mitglieder und Eintrittsalter (41)

Als zweiten Punkt wird das Alter und damit auch das Eintrittsdatum der NSDAP-Mitglieder untersucht. Hierzu werden die Mitglieder neun verschiedenen Geburtsjahresabschnitten zugeordnet:

– 1915 – 1913 (1)
– 1912 – 1905 (2)
– 1904 – 1901 (3)
– 1900 – 1893 (4)
– 1892 – 1888 (5)
– 1887 – 1883 (6)
– 1882 – 1878 (7)
– 1877 – 1868 (8)
– 1866 – 1852 (9)

Zudem wird das Alter der Mitglieder im Ersten Weltkrieg ermittelt, um eine Aussage über die Kriegserfahrungen der Personen machen zu können.

Zwischen 1915 und 1913 geborenen NSDAP-Mitglieder waren zum Zeitpunkt des Ersten Weltkrieges gerade einmal im Vorschulalter, die der zweiten Gruppe, die zwischen 1912 und 1905 geborenen, in dem von Grundschülern. Parteimitglieder, die zwischen 1904 und 1901 auf die Welt kamen, besuchten 1918 entweder Hochschulen oder machten eine Ausbildung. Die vierte bis achte Gruppe wurde aktiv am Kriegsgeschehen beteiligt, die sechste bis neunte kämpfte direkt an der Heimatfront.

Hierzu eine kurze Übersicht, über die Altersverhältnisse innerhalb der Eutiner
Ortsgruppe:





Abbildung 3: nach: Stokes (2004), S.252: „Tabelle 4:Die altersgrmäße Zusammensetzung der Eutiner NS-Ortsgruppe im Verhältnis zum Ersten Weltkrieg"

Wie man diesem Diagramm deutlich entnehmen kann, wurde die Mehrzahl der NSDAP – Mitglieder in Eutin zwischen 1905 und 1912 geboren. Zum Zeitpunkt des Ersten Weltkrieges befanden sie sich also gerade einmal im Grundschulalter und waren nicht an den Kampfhandlungen der Front beteiligt (mit den Frauen lag der Anteil der an den Kriegshandlungen Beteiligten bei weniger als ¼ der Mitglieder).
Der Anteil an Rentnern innerhalb der Partei war sehr klein, der von Schülern und Studenten dagegen verhältnismäßig groß. 47,9% der Ortsgruppe war noch unter 30 Jahre alt, 21,7% unter 40. Der größte Teil der Ortsgruppe wurde also nach 1892 geboren. Nur ein sehr geringer Anteil (15%) war über 50 Jahre alt.
Das Durchschnittsalter der Partei lag bei 34,8 Jahren.
Man kann also sagen, dass die Mitgliedschaft der NSDAP vorwiegend aus jungen Leuten bestand, was dem jugendlichen Charakter der Partei entspricht. Es ist erstaunlich, dass vorwiegend solche Menschen der NSDAP beitraten, die selbst keine militärische Erfahrung hatten.


4.1.3. Die Geburtsorte (42)

70% der Mitglieder stammten ursprünglich aus kleinen Orten innerhalb der preußischen Provinz Schleswig-Holsteins (Vorkriegsgrenzen). 80% der Geburtsorte hatten 1910 weniger als 10000 Einwohner.
Diese Werte zeigen, dass der Großteil der Ortsgruppe ursprünglich aus der Eutiner Gegend, vorwiegend kleinen Orten, kam.
Es ist anzunehmen, dass ca. 45% ihr ganzes Leben hier verbracht hatten (Kriegsdienst während des Ersten Weltkrieges ausgenommen).
Der Anteil derjenigen Mitglieder aus größeren oder weiter entfernten Städten als Eutin war im Hinblick auf das „Landflucht-Phänomen“ in der Mitte des 19. Jahrhunderts überraschend klein. 20% der Ortsgruppe fanden so durch „Stadtflucht“ zur Ortsgruppe Eutin.
Dieses Gegenphänomen könnte auch ursächlich für die „Stadtfeindlichkeit der nationalsozialistischen Propaganda“ sein.
40 Mitglieder der NSDAP Eutin kamen aus Kiel, Lübeck und Hamburg, 16 weitere aus Berlin, Hannover, Leipzig, München, Dresden, Düsseldorf, Essen, Bochum, Krefeld und Mainz. Diese Städte zählten 1910 bereits über 100000 Einwohner.
Diese „Stadtflüchtigen“ waren hauptsächlich unter den Musikern der SA-Kapelle zu finden.


4.1.4. Der Zeitpunkt des Eintritts (43)

Viele Einwohner Eutins fanden schon sehr früh zur NSDAP, die Mehrheit war bereits Mitglied, als Hitler noch kein Reichskanzler war.
Die Ortsgruppe Eutin wurde im Mai 1925 aufgestellt, nachdem der Parteiführer aus dem Landsberger Gefängnis entlassen worden war.
Unter den Mitbegründern fanden sich ein Schlachter-, ein Bäcker- und ein Tischlergeselle, ein Techniker, ein Elektriker, ein Banklehrling und ein Kirchensekretär. Ihnen wurden die Parteimitgliedsnummern 7566-7572 zugewiesen.

Zum Eintrittszeitpunkten der einzelnen Mitgliederbeitritten ist Folgendes zu sagen:
40% (oder 164 Personen) der Ortsgruppe sind nach dem 01.11.1931 eingetreten. 122 entschieden sich für den NSDAP-Beitritt in den vorhergegangenen zwölf Monaten.
Folglich waren fast 70% der Parteimitglieder erst seit Oktober 1930 in der NSDAP Eutin.
125 Anhänger waren bereits vorher NSDAP-Mitglieder der Ortsgruppe Eutin. 3% durften aufgrund der „langjährigen Treue“ zur Partei das „Goldene Parteiabzeichen“ tragen.

Im Zusammenhang mit den einzelnen Berufskategorien ist folgende Beobachtung zu verzeichnen:
Der Anteil der Arbeiter unter den Neuaufnahmen nahm zwischen November 1928 und Dezember 1931 ab.
Diese strukturelle Veränderung ist ein Hinweis auf die Veränderung der NS-Propaganda, die sich immer weiter von den ursprünglich sozialrevolutionären Zielen abwandte. Seit 1928 konzentrierte sich die NSDAP darauf um nationalistisch und bürgerlich Gesonnene zu gewinnen.
Demzufolge wuchs der Anteil der Angestellten unter den Neueintritten ab 1928.
Um 1930 und 1931 begann die NSDAP zunehmend attraktiver für Kaufleute und Handwerker zu werden. Gerade in den letzten Monaten bevor die NSDAP an die Macht kommen sollte, wuchs ihr Anteil unter den neuen Mitgliedern. Sie machten die Mehrheit der Neueintritte mit 40% aus.
Der Anteil der berufslosen Frauen unter den Neumitgliedern der Ortsgruppe lag bis 1931 immer zwischen 7,7% und 10%. Die Frauenanzahl innerhalb der Partei war trotzdem verhältnismäßig klein.
Freiberufliche, leitende Angestellte und Beamte waren nur unter den frühsten und letzten Zugängen gut vertreten (1929 bzw. zwischen Februar und Mai 1932).
Beamte traten vorwiegend nach 1931 (70%) in die Ortsgruppe Eutin ein.
Die sieben Schüler und Studenten wurden aus Altersgründen erst ab Mai 1930 Parteimitglieder.
Ebenfalls zwischen 1928 und 1929 waren die meisten Neuanmeldungen von wirtschaftlich Selbstständigen zu verzeichnen. Sie waren trotzdem gleichmäßiger über die gesamte Zeitspanne verteilt, als bei den einzelnen Berufsgruppen. Unter den ältesten Parteimitgliedern war jedoch kaum einer von ihnen (7,7%).

1/3 der besitzenden Eutiner trat der Ortsgruppe also bereits vor Dezember 1929 bei. Eine Machtübernahme der Nationalsozialisten war da noch nicht abzusehen. Die Selbstständigen stabilisierten die NSDAP Eutins, da sie bereits sehr früh zahlenmäßig gut vertreten waren, der Partei jahrlang treu blieben und zugleich zuverlässig immer neue Mitglieder warben. Zudem waren sie eine wichtige finanzielle Stütze der Partei in Eutin.
In umgekehrten Proportionen veränderte sich der Anteil der wirtschaftlich Abhängigen. Ihr Anteil an Neuzugängen machte 70% aus und blieb auch während der gesamten Frühgeschichte der NSDAP ungefähr gleich bei diesem Wert.

Die Propaganda der NSDAP war vor dem Mai 1928 eher sozialistisch ausgerichtet. Demzufolge waren die meisten älteren Mitglieder der Partei von niedriger Sozialstellung.
Ab November 1928 und Dezember 1929 sank der Anteil der abhängigen Beschäftigten, der der Selbstständigen unter den neuen Mitgliedern stieg jedoch. Dies ist ein Indiz für das verstärkte Interesse der NSDAP an den bürgerlichen Teilen der Bevölkerung.
Der Anteil der abhängigen Beschäftigten fiel bis Mai 1932 stark - die NSDAP wandelte sich so immer mehr von einer Partei des „Volkes“ zu einer bürgerlichen Partei, sie verbürgerlichte.

Das Alter der neuen Mitglieder lag meist zwischen 18 und 25 Jahren. Bis 1931 bildeten die unter 30-jährigen die stärkste Gruppe unter den Neuzugängen. Trotzdem stieg das Durchschnittsalter der Ortsgruppe, da gerade die ältesten Mitglieder seit ihrem Eintrittsdatum um mehrere Jahre gealtert waren.

Die größte Zahl der Neuzugänge war während der Wahlkampagnen, also zur Zeit der intensivsten Propaganda, zu verzeichnen.
Die Reden Hitlers in Eutin führten jedoch auffälligerweise zu keinen Auffälligkeiten in Bezug auf die Beitrittszahlen der Partei.


4.1.5. Mitgliederfluktuation (44)

Die Fluktuationsrate war innerhalb der Arbeitergruppe am höchsen. Sie machten 22% der ehemaligen Angehörigen der Ortsgruppe aus. Im Mai 1932 waren es nur noch 14,5%.
Bei Beamten sank dieser Anteil von 6% auf 2,9%, bei Schülern von 10 auf 1,9%. Selbst bei den Landwirten sank er von 7,4 auf 1,3%.
Aus- und Eintritt der Kaufleute und Händler glichen sich bis zum Mai 1932 aus. Die treusten Berufsgruppierungen waren Angestellte, Handwerker, Freiberufliche. Hinzu kamen noch beschäftigungslose Frauen.
Die Fluktuationsrate war bei allen Berufskategorien bis auf Schüler und Landwirte nicht sehr bedeutend.






4.2. Die Führungskorps der Ortsgruppe Eutin


4.2.1 Die berufliche Struktur (45)

Die Führung der NSDAP Eutin setzte sich aus den Partei- und SA-Leitern, der Leiterin der Frauenschaft, den örtlichen Führer der SS und der Hitler-Jugend, dem nationalsozialistischen Kulturbeauftragten und den drei NSDAP-Ratsherren der Stadt zusammen.
12% von ihnen arbeiteten als freiberufliche und leitende Angestellte (Vergleich: Anteil der freiberuflichen und leitenden Angestellten in der Mitgliedschaft betrug 2%).
Händler, Kaufleute und Unternehmer bildeten fast ¼ der Parteiführung, waren somit im Verhältnis zur Parteimitgliedschaft knapp überrepräsentiert.
Unterrepräsentiert waren hingegen Handwerker.
Hinsichtlich des zunehmenden Bürokratiebedarfs in der NSDAP ab 1930 wurden 35% des Führungskorps von Angestellten verschiedener Art gebildet, doppelt so viele wie in der Parteimitgliedschaft vertreten waren.
Das Beamtentum, das innerhalb der Ortsgruppe mit lediglich 2% unterrepräsentiert war, machte in den Führungspositionen der Partei 11,8% aus. Dies ist ebenfalls ein Hinweis auf die zunehmende Bedeutung der Bürokratie.
Eine einzige Frau war Mitglied des Führungskorps. Sie war jedoch im Verhältnis nicht unterrepräsentiert.
Acht der 17 „Leiter“ waren wirtschaftlich selbstständig. Proportional verglichen mit dem Anteil an Selbstständigen in der Mitgliedschaft war der der Führung doppelt so hoch.

Insgesamt lässt sich sagen, dass der Anteil an Handwerkern und Frauen in der Leitung eher unwesentlich war.
Die traditionelle Elite bildete zusammen mit Verwaltungspersonal das Führungskorps der Ortsgruppe in Eutin.


4.2.2. Das Alter (46)

Von den Mitgliedern des Führungskorps der NSDAP in Eutin waren 35% (6 Personen) unter 30 Jahre alt. 41% (7 Mitglieder) waren noch unter 37 Jahren. Die Frauenschaftsleiterin (44) und Böhmcker (mit 37 Jahren Regierungspräsident) gehörten zu den ältesten der Führung.
Das Durchschnittsalter der Parteileitung lag bei 34,3 Jahren, 0,4 Jahren unter dem Durchschnitt der Ortsgruppe.
Mindestens sieben der Leiter (40%) dienten während des Ersten Weltkrieges in Armee oder Marine.

Vergleicht man Mitgliedschaft und Leitung der NSDAP Ortsgruppe Eutin, so stellt man fest, dass wirkliche Kriegserfahrung innerhalb der Ortsgruppe eher unbedeutend war und nur in der Führung eine Rolle spielte.


4.2.3. Die Geburtsorte (47)

Das Führungskorps wurden zu weniger als 60% in Eutin und Umgebung geboren. Zwei von ihnen gehörten zu den sechs Nationalsozialisten Eutins, die ursprünglich aus Gebieten außerhalb der Reichsgrenzen stammten.
Ein Drittel der NSDAP-Leiter stammten aus größeren deutschen Städten.
Im Vergleich zur Mitgliedschaft, die zum größten Teil aus der Eutiner Gegend stammte, waren die Ursprünge der Führungskorps vielgestaltiger.


Fazit: Wer ist die NSDAP in Eutin?



Die NSDAP in Eutin nahm ihren Anfang als eine Ortsgruppe, die 1925, also sehr frühzeitig, gegründet wurde. Eutin bot die optimalen Bedingungen für einen schnellen Aufstieg der Partei, die Bevölkerung war sehr anfällig für die NS- Propaganda, wobei es die NSDAP vor allem auf die Erst- und Nichtwähler abgesehen hatte. Die NSDAP konnte man aber auch als „Volkspartei" bezeichnen, da sie mit ihrer unermüdlichen Propaganda Wähler jeden Alters und Berufs ansprach, vor allem auch den Mittelstand, der in Eutin sehr ausgeprägt war.

Im Frühjahr 1932 kam sie dann in Eutin per Stimmzettel an die Macht, also bereits vor Hitlers Ernennung zum Reichskanzler. Böhmcker wurde der Regierungspräsident Eutins. Erstmals seit 1918 wurde die Regierung Eutins keinem Beamten übergeben, sondern mit Böhmcker einem Parteipolitiker.

Zwischen Juli und November 1932 fiel der Stimmenanteil der NSDAP bei den Reichstagswahlen von 51 auf 43,6%, da die Eutiner Bevölkerung durch die Anfänge der Verfolgungs- und Gleichschaltungspolitik eine Vorschau auf das „Dritte Reich" bekommen hatte. Wäre es eine Landtagswahl gewesen, hätte sich die NSDAP nicht an der Macht halten können. Zugleich steckte die Partei in einer tiefen Krise. Die Machtübertragung an Hitler am 30.01.1933 rettete die NSDAP auch in Eutin vor dem Niedergang.
Danach erfolgte wie im restlichen Deutschland die übliche Gleichschaltungspolitik auch in Eutin. Nun galt das Prinzip „Anpassung und Verfolgung“ – entweder die Menschen passten sich an oder sie wurden verfolgt. Alle anderen Parteien wurden verboten (Juli 1933) und alle „nicht-arischen“ Einwohner mussten mit Schwierigkeiten rechnen.
Andererseits erhielt die NSDAP weiterhin Zustimmung durch die Bevölkerung, unter anderem durch Arbeitsbeschaffungsprogramme und das Versprechen, die Steuern zu senken. Wegen der Erfolge hinsichtlich der Senkung der Arbeitslosigkeit konnte sich die NSDAP ihre Wählerschaft sichern.

Das Hauptmerkmal des „Dritten Reiches" und somit der NSDAP – Regierungszeit in Eutin war die „Anpassung der überwiegenden Mehrheit der Einwohnerschaft an die tatsächlichen Verhältnisse, die sie in ihrem Alltagsleben nunmehr vorfanden" (Stokes (2004), S. 23).

Die Mitglieder der Ortsgruppe Eutin waren vorwiegend bürgerlich. Der Anteil an „proletarischen“ Mitgliedern war ebenfalls beachtlich.
Gut Ausgebildete waren meistens eher der NSDAP zugetan als die schlechter geschulten Arbeitskräfte, ebenso wie Unternehmer.
Handwerker und Frauen waren zu einem relativ großen Anteil in der Mitgliedschaft vertreten.

Das Durchschnittsalter der Parteimitglieder lag bei 34,8 Jahren. Man kann also sagen, dass die Mitgliedschaft der NSDAP vorwiegend aus jungen Menschen bestand, was dem jugendlichen Charakter der Partei entsprach. Es ist erstaunlich, dass vorwiegend die Menschen der NSDAP beitraten, die selbst keine militärische Erfahrung hatten.

Der größte Teil der NSDAP – Mitglieder Eutins lebte schon seit seiner Geburt im Eutinischen. Er stammte vorwiegend aus Kleinstädten („Stadtflucht“), weswegen er der großstadtfeindlichen Propaganda der nationalsozialistischen Partei durchaus zugetan war.

Ursprünglich zielte die Propaganda der Nationalsozialisten in Eutin besonders darauf ab, die Arbeiter-Gruppierungen in der Kleinstadt für sich zu gewinnen. Ab 1928 schlug die Richtung der Propaganda von einer ursprünglich sozialrevolutionären um, um vor allem Nationalisten und Bürger zu erreichen.
Folglich sank der Arbeiter-Anteil und der der Handwerker und Kaufleute nahm zu.
1/3 der „besitzenden“ Eutiner trat der Ortsgruppe also bereits vor Dezember 1929 bei.
Die Propaganda bis 1928 war jedoch ursächlich für den hohen Anteil von Personen mit niedriger Sozialstellung unter den ältesten Mitgliedern der Ortsgruppe verantwortlich.
Mit dem Umschwung der Propaganda nahm jedoch der Anteil an Selbstständigen zu.
Die NSDAP wandelte sich immer mehr von einer Volks- zu einer „bürgerlichen Partei".
Als Partei der Jugend, traten der NSDAP vorwiegend junge Menschen (unter 30 Jahren) bei.

Die traditionelle Elite blieb auch in der Ortsgruppe Eutin führend: Sie bildete das Führungskorps.
Auf Grund des zunehmenden Bürokratiebedarfs ab 1930 war auch vermehrt Verwaltungspersonal in der Parteileitung zu finden.
Das Alter der Führungskräfte lag vorwiegend zwischen 20 und 40 Jahren. Mehrere von ihnen hatten im Gegensatz zur Mitgliedermehrheit bereits praktische Kriegserfahrung aus dem Ersten Weltkrieg.
Sie stammen zu einem großen Teil auch aus sehr verschiedenen Orten.


Literaturverzeichnis



1) Stokes (1984), Lawrence D.: Kleinstadt im Nationalsozialismus, Neumünster 1984


2) Stokes (2004), Lawrence D.: „Meine kleine Stadt ist wie Tausend andere …“, Eutin 2004


3) www.dhm.de





7. Fußnoten

(1) s. Aufsatz von Jennifer Wehrend
(2) vgl. Stokes (2004), Kapitel 1, S. 13 – 19
(3) Stokes (2004), S. 14 / vgl. Punkt 4.1. Die Mitglieder der Ortsgruppe Eutin
(4) s. Projekt von Jennifer Wehrend
(5) s. 4. Soziale Zusammensetzung der NSDAP
(6)http://images.google.de/imgres?imgurl=http://www.dhm.de/lemo/objekte/pict/pli04879/index.jpg&imgrefurl;=http://www.dhm.de/lemo/objekte/pict/pli04879/index.html&h;=442&w;=
311&sz;=22&hl;=de&start;=12&tbnid;=dyl7-kj6SUsOYM:&tbnh;=127&tbnw;=89&prev;=/images%3Fq%3DWahlplakat%2BNSDAP%26svnum%3D10%26hl%3Dde%26lr%3D (07:50 Uhr), vgl. Stokes (1984), S.988f.
(7)http://images.google.de/imgres?imgurl=http://www.dhm.de/lemo/objekte/pict/pli04734/index.jpg&imgrefurl;=http://www.dhm.de/lemo/objekte/pict/pli04734/index.html&h;=454&w;=
324&sz;=33&hl;=de&start;=5&tbnid;=SAsuYClilejZ4M:&tbnh;=128&tbnw;=91&prev;=/images%3Fq%3DWahlplakat%2BNSDAP%26svnum%3D10%26hl%3Dde%26lr%3D (07:53), vgl. Stokes (1984), S.988f.
(8) vgl. AFL, 6.4.1932, in: Stokes (1984)
(9) „Hitlers Rechenschaftsbericht vor der Generalmitgliederversammlung der NSDAP"- Völkischer Beobachter, Nr. 118, 26.5.1926, in: Stokes (1984), S.51, 1.Kapitel (Quelle I/6c)
(10) AFL, Nr. 112, 15. 5. 1926; aus: Stokes (1984), S.52 – 55 (Quelle [I/6D]
(11) s. 4. Soziale Zusammensetzung der NSDAP
(12) Stokes (2004), S. 20
(13) Stokes (2004) Kapitel 2, S.21
(14) Stokes (2004), S. 23
(15) Stokes 2004, 2. Kapitel, S. 21
(16) Stokes 2004, Kap. 2, S. 21
(17) Stokes (2004), Kap.2, S. 24
(18) Stokes (2004), Kap. 2, S. 22
(19) Stokes (2004), Kap. 2, S. 24f.
(20) Stokes (2004), S. 23-25
(21) s. der Fall Stoffregen
(22) Die Darlegungen folgen den Ausführungen von Stokes(2004), S.242 ff.
(23) Stokes (2004), S.242 f.
(24) Stokes (2004), S.244
(25) Vgl. Stokes (2004), S.245
(26) Ebd.
(27) Ebd.
(28) Vgl. Stokes (2004), S.246
(29) Ebd.
(30) Ebd.
(31) Vlg. Stokes (2004), S.247
(32) Ebd.
(33) Ebd.
(34) Vgl. Stokes (2004), S.247 f.
(35) Vgl. Stokes (2004), S.248
(36) Ebd.
(37) Ebd.
(38) Vgl. Stokes (2004), S.249
(39) Vgl. Stokes (2004), S.250
(40) Vgl. Stokes (2004), S.250
(41) Vgl. Stokes (2004), S.251f.
(42) Vgl. Stokes (2004), S.252 f.
(43) Vgl. Stokes (2004), S.253-259
(44) Vgl. Stokes (2004), S.261
(45) Vgl. Stokes (2004), S.250
(46) Vgl. Stokes (2004), S.252
(47) Vgl. Stokes (2004), S.253






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