Die Reichswehr/Wehrmacht

Inhaltsverzeichnis



1. Einleitung

2. Standortbeschreibung

3. Heeresvermehrung in Eutin

4. Einsatzorte des I. Bataillon Infanterieregimentes 6

5. Die Rettberg-Kaserne während des Krieges

6. Kriegsverbrechen des I. Bataillon Infanterieregimentes 6

7. Anmerkungen

8. Quellen- und Literaturverzeichnis

9. Anhang: Foto der Rettberg-Kaserne 1914
Karte zu den Einsatzorten des I. Bataillon-Infanterieregimentes 6
Abschrift eines Tagesablaufs in der Heeresunteroffizierschule





1. Einleitung



Die folgenden Ausführungen und Erläuterungen beruhen vielfach auf schriftlichen Aussagen und Berichten von ehemaligen Soldaten. Im Stadtarchiv Eutin und den Militärarchiven der Kasernen in Eutin und Neumünster sind keine Dokumente zu dieser Thematik vorhanden. Vorhandenes Material des Stadtarchivs Eutin zum Thema Eutin als Garnison ist bereits von Heimatforschern und Historikern in die entsprechende Literatur eingeflossen. Informationen über die Heeresunteroffizierschule erhielt ich von dem Eutiner Horst Krause, der in dieser Schule als Unteroffizier-Vorschüler ausgebildet wurde und mir nach unserem Gespräch persönliche Aufzeichnungen überließ. Seine Auskünfte und Schilderungen hinsichtlich dieser Schule sind in gekürzter Form auch in der „Geschichte der Eutiner Garnison“ von Otto Rönnpag (1993) zu finden. Hilfreiche Informationen erhielt ich auch von Herrn Walter Grammerstorf, der als Stadtführer in Eutin bekannt ist und sich mit der Geschichte der Stadt Eutin beschäftigt. Er hat bereits in der Gustav Heinemann Bildungsstätte in Bad Malente – Gremsmühlen im Juli 2000 vor den Offizieren des Führungsunterstützungsregimentes 10 einen Vortrag über die Reichswehr in Eutin gehalten; seine diesbezüglichen Kenntnisse beruhen hauptsächlich auf den Darstellungen Otto Rönnpags.


Begriff „Reichswehr“
Als „Reichswehr“ werden die Streitkräfte des Deutschen Reiches zur Zeit der Weimarer Republik und der ersten Jahre des Dritten Reiches bezeichnet. Sie erhielten diese amtliche Bezeichnung mit dem Reichsgesetz vom 23. März 1921. Gemäß dem Versailler Vertrag von 1919 war der Personalbestand bei der Heereszusammensetzung auf 100.000 Berufssoldaten beschränkt, bei der Marine auf 15 000. Die Reichswehr durfte nicht über Luftstreitkräfte, Panzer, U-Boote oder schwere Artillerie verfügen. Die Entmachtung der SA durch Adolf Hitler unter dem Vorwand des "Röhm-Putsches" festigte 1934 die Position und den Einfluss der Reichswehr. Mit der Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht im Jahr 1935 wurde die Reichswehr in Wehrmacht umgewandelt. In der Kreisstadt Eutin waren bereits während des I. Weltkrieges Soldaten in der Kaserne untergebracht. Nach dem Versailler Vertrag konnte Eutin ab dem 3. August 1920 als Garnison (1) bestehen bleiben. Eutin war damals der militärische Stützpunkt für die 6. und 7. Kompanie des II. Infanterieregiments 6.


2. Standortbeschreibung



Das Gelände der 1913 erbauten Rettberg-Kaserne liegt bis heute am östlichen Stadtrand Eutins, dennoch nahe des Stadtzentrums, das etwa 600 m entfernt ist. Eutin, das im Osten Schleswig–Holsteins liegt, gehörte damals zum Landesteil Lübeck des Großherzogtums Oldenburg in Oldenburg und besaß ca. 10.000 Einwohner. Ihren Namen erhielt die Kaserne im Rahmen des 25jährigen Bestehens am 3. Dezember 1938. Damals fand in der Kaserne auch das Jubiläumstreffen der Ehemaligen des Infanterieregiments 162 statt. Der damalige Kommandeur des I. Bataillon des Infanterieregimentes 6 Oberstleutnant Udo de Rainville (2) benannte die Eutiner Kaserne in die Rettberg-Kaserne um. Sie erhielt damit den Namen des Regimentskommandeurs der 162er, Oberst Karl von Rettberg. Er hatte das Regiment während des I. Weltkrieges von Oktober 1914 bis Juli 1917 geführt.
Die Rettberg-Kaserne verfügte zur Zeit des Nationalsozialismus über einen Truppenübungsplatz, eine Reithalle sowie Pferdeställe und einen Schießstand bzw. Handgranaten-Wurfstand in Zarnekau im Röbeler Holz. Die pioniermäßige Ausbildung der Soldaten erfolgte am Großen Eutiner See. Außerdem wurde der Truppenübungsplatz in Putlos genutzt, wozu ein ca. 35 km langer Fußmarsch erforderlich war.





Skizze der Rettberg-Kaserne vom Jahr 1936

Legende zur Skizze
1 – Offizierskasino
2 – Wache, Stabsgebäude und Arrestzellen
3-5 – Wohnungen für Feldwebel und Offiziere
6 – Wirtschaftsgebäude mit Küche und Speisesaal für zwei Kompanien
7 – Gebäude der 4. Kompanie
8 – Sanitätsgebäude
9 – Mehrzweckhalle
10 – Gasraum (Prüfen der Dichtigkeit der Schutzmasken)
11 – Kammergebäude für Handwerker, z. B. für Schuster, Schneider, Sattler
12 – Fahrzeugremise (nicht motorisiert)
13 – Reithalle
14 – Baracken und Pferdeställe
15 – Gebäude der 3. Kompanie
16 – Gebäude der 2. Kompanie
17 – Gebäude der 1. Kompanie mit einer Kantine und Speisesaal für zwei
Kompanien
18 – Sandplatz (für Empfänge, aber auch für Sportübungen, Exerzierübungen genutzt)
19 – Hindernisparcour, sog. „Stechbahn“ (Anlage mit Grabenabschnitten,
Übungsmöglichkeiten zum Kriechen, Hangeln usw.)
20 – Gelände für die pioniermäßige Ausbildung mit Militärbadeanstalt für
Schwimmübungen
21 – Truppenübungsgelände (Es reichte bis zur Ortschaft Zarnekau.)


Die angefertigte Skizze zeigt im Vergleich zum Foto der Rettberg-Kaserne aus dem Jahre 1914 bauliche Erweiterungen. Im Zuge der Heeresvermehrung (s. 3. Heeresvermehrung in Eutin) sind z. B. die Gebäude der 1. und 2. Kompanie mit Kantine und Speisesaal für zwei Kompanien, die Fahrzeugremise und eine Reithalle, sowie Pferdeställe errichtet worden. (3)
In ideologischer Hinsicht kann festgestellt werden, dass der Ausbau und die Instandhaltung der Kaserne nach nationalsozialistischen Gesichtspunkten erfolgte. „Nach Vergrößerung der Eutiner Garnison … erfolgte seit 1934 der Bau neuer Kasernenanlagen an der Oldenburger Landstraße. Mehr als hundert Handwerker fanden dort lohnende Beschäftigung.“ (4) Dass die NSDAP die Gesinnung der Menschen kontrollierte, macht ein Schreiben der Heeresstandortverwaltung vom 4. 3. 1939 an die Polizeiverwaltung der Stadt Eutin deutlich. Hierin bat sie um die Zusendung einer „Liste der ortsansässigen, für die Vergebung infrage kommenden Handwerksmeister …“. Dabei wurde darum gebeten, nur Betriebe und Personen zu benennen, deren handwerkliche Leistung und „politische Einstellung einwandfrei ist…“(5). „Gleichlautende Verordnungen des Reichsministers des Innern, der Finanzen und der Wirtschaft in Bezug auf die Vergebung öffentlicher Aufträge bevorzugten altgediente Nationalsozialisten bzw. verlangten eine Erklärung, daß der Gewerbetreibende, seine steuerlichen und sozialen Verpflichtungen erfüllt hat.“ (6)


3. Heeresvermehrung in Eutin



In den Jahren 1934 bis 1936 wurde eine Heeresvermehrung durchgeführt, denn Hitler strebte nach der "Machtübertragung" den Ausbau der Reichswehr an, die er für seine aggressive Außenpolitik benötigte. Dabei gab er der Reichswehr gegenüber der SA den Vorzug und versprach, dass die Reichswehr alleiniger Waffenträger Deutschlands bleibe. „Mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht am 16. März 1935, mit der Hitler sich über die Bestimmungen des Versailler Vertrages hinwegsetzte, begann der zügige Ausbau der nun offiziell in ,Wehrmacht’ umbenannten Reichswehr.“ (7) Die Heeresvermehrung führte in Schleswig-Holstein dazu, dass die 30. Infanteriedivision Lübeck aufgestellt wurde. Ihr Kommandeur war Generalleutnant Heinrich von Stülpnagel. (8) Diese Division (9) bestand aus drei Infanterieregimentern, dem Infanterieregiment 26 Flensburg, dem Infanterieregiment 6 Lübeck und dem Infanterieregiment 46 Neumünster. Sie bildeten den Kern der neuen Division.
Der Kommandeur des Infanterieregimentes 46 war Oberst Heinrich Strack. (10) Das II. Bataillon des Infanterieregimentes 46 wurde in Eutin stationiert, sein Kommandeur war Oberstleutnant Wolfgang Fischer (11). Mit den vier dazu gehörigen Kompanien 5 (Kompanieführer Hauptmann von Foller), 6 (Kompanieführer Hauptmann Klammt/ Leutnant Voigt), 7 (Kompanieführer Hauptmann Dr. Kaschner/ Oberleutnant von Domarus) und 8 (Kompanieführer Hauptmann von Schalburg) waren etwa 800 Soldaten in Eutin stationiert. (12)
Wie bereits o. a. waren vor der Heeresvermehrung nur zwei Kompanien in Eutin stationiert, d. h. hier waren ca. 400 Soldaten beheimatet. Nach Abschluss der Aufstellung der 30. Infanteriedivision Mitte 1937 erfolgte die letzte Dislozierung vor dem Ausbruch des II. Weltkrieges. Von nun an gehörten die Einheiten Eutins als I. Bataillon zum Infanterieregiment 6 (Lübeck), dessen Kommandeur Oberstleutnant Udo de Rainville war. Das Eutiner Bataillon war ein reines Infanterieregiment; motorisierte Fahrzeuge waren nicht vorhanden. (13)

In Eutin stellten sich die neuen Rekruten, die seit 1914 zum ersten Mal wieder im ganzen Reich gemeinsam vereidigt wurden, am 8. November 1935 auf dem Kasernengelände noch unter der alten Reichskriegsflagge auf. Am 5. November 1935 hatte Adolf Hitler eine neue Reichskriegsflagge verordnet. Sie besaß nun einen roten Untergrund (vorher: weiß) und zeigte in der Mitte das schwarz- weiß- geränderte Hakenkreuz (vorher: Adler der Hohenzollern). (14) In Anwesenheit vieler SA- und SS-Männer, Politiker und Einwohner Eutins hielt der Bataillonskommandeur Oberstleutnant Fischer die Ansprache.

Während der Zeremonie wurde die alte Flagge feierlich abgenommen und die neue gehisst, begleitet mit der Verlesung eines Erlasses von Adolf Hitler, der mit den Worten „Der Flagge zu folgen, sei Euer Stolz“ (15) endete. Nach dem Hinweis auf die Bedeutung des persönlichen Eides auf den Führer, der die Soldaten auf Tod und Leben mit dem Führer verbände (16), leisteten die Rekruten den Eid.
Die Eidesformel der Wehrmacht lautete:
Ich schwöre bei Gott diesen heiligen Eid, daß ich dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes, Adolf Hitler, dem Oberbefehlshaber der Wehrmacht, unbedingten Gehorsam leisten und als tapferer Soldat bereit sein will, jederzeit für diesen Eid mein Leben einzusetzen.“ (17)

Durch diese neu eingeführte Eidesformel wurden die Soldaten auf Adolf Hitler persönlich vereidigt. Nach Beendigung des II. Weltkrieges wurde der auf den Führer geleistete Eid oftmals als Rechtfertigung der Soldaten für die von ihnen ausgeübten Kriegsverbrechen und Grausamkeiten benutzt. Andererseits brachte dieser Eid viele Soldaten auch in schwere Gewissenskonflikte, da sie sich an den Eid gebunden fühlten und sich so zumindest zur Duldung von unrechtmäßigen Vorkommnissen und Handlungen gezwungen sahen. Ein offen ausgetragener Widerstand hätte sie unter Umständen ihr Leben kosten können.
Aus der geleisteten Eidesformel resultierte die Problematik, die Soldaten nicht zur Rechenschaft ziehen zu können, denn sie waren gezwungen unbedingten Gehorsam zu leisten.
Im Zuge des Aufbaus eines demokratischen Staatswesens in Deutschland wurde nach dem II. Weltkrieg auch die Bundeswehr in die Demokratie integriert und dabei u. a. die Eidesformel geändert. Im Soldatengesetz von 1956 regelt der §9 den zu leistenden Diensteid: „,Ich schwöre, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen, so wahr mir Gott helfe’. Der Eid kann auch ohne die Worte ,so wahr mir Gott helfe’ geleistet werden.“ (18) Als Zusatz sieht das Gesetz vor, dass Soldaten ihren Vorgesetzten nicht „bei Befehlen, die die Menschenwürde verletzen oder gegen Völkerrecht, Grundgesetz und Gesetze verstoßen“ (19), gehorchen müssen.



4. Einsatzorte des I. Bataillon Infanterieregimentes 6



Zur Veranschaulichung der Einsatzgebiete des Infanterieregimentes 6 befindet sich im Anhang eine Karte, in der die erwähnten Orte hervorgehoben sind.

1938: Besetzung des Sudetenlandes im Oktober 1938
Im Herbst 1938 schien der Frieden in Europa durch die so genannte Sudetenkrise bedroht zu sein, denn Hitler hatte bereits im Mai befohlen, einen Einmarsch der Wehrmacht in die Tschechoslowakei vorzubereiten. Die Bevölkerung des Sudetenlandes war überwiegend deutschsprachig und wünschte den Anschluss an das Deutsche Reich. Die Regierungen Englands und Frankreichs waren auf einen Erhalt des Friedens bedacht und schreckten vor einer kriegerischen Auseinandersetzung zurück.
Am 29.09.1938 beschlossen die Regierungen Englands, Frankreichs, Italiens und des Deutschen Reiches im Münchener Abkommen das Sudetenland an das Deutsche Reich anzuschließen. Dieses Abkommen wurde in Abwesenheit der Tschechoslowakei und der mit ihr verbündeten Sowjetunion unterzeichnet. Als Hitler sich entschloss, dieses Gebiet „zwischen dem 1. und 10. Oktober zu besetzen, erging auch der Marschbefehl an das Eutiner Bataillon.“(20) Aus der Besatzungszeit sind keine gewalttätigen Auseinandersetzungen bekannt. Nach ihrer Rückkehr wurden die Soldaten mit einer Gedenkmedaille ausgezeichnet. (21)

1939: Polenfeldzug
In diesem Jahr kam es zu der Entscheidungsschlacht im Kampf um Polen, die auch als „Schlacht an der Bzura“ (22) bezeichnet wird und vom 9. bis zum 19. September 1939 dauerte.
Das Eutiner Bataillon erhielt den Befehl, sich an der schlesischen Grenze (Legende Nr. 2) bereitzustellen, wo es bereits einige Zeit vorher kleine Bunker als Grenzbefestigung gebaut hatte. Unter dem Kommandeur Oberstleutnant de Rainville überschritt das I. Bataillon Infanterieregiment 6 die polnische Grenze. Im Gebiet um Leczyca (Legende Nr. 3) kam es zur ernsthaften Bedrohung der deutschen Soldaten durch die polnischen Armeen. Als neue deutsche Kräfte eintrafen, gelang es, die Polen einzukesseln. Am 19. September ergaben sich die polnischen Soldaten, von denen 170 000 in deutsche Kriegsgefangenschaft gerieten. (23)
Nach dem Feldzug in Polen wurde die 30. Infanteriedivision zuerst in das Gebiet um Krefeld (Legende Nr. 4) und Kempen (Legende Nr. 5) verlegt, dann bezog es den Bereitstellungsraum bei Kaldenkirchen (Legende Nr. 6). Von dort aus begann der „Westfeldzug“: Der Vormarsch führte durch Belgien über die Maas (Legende: a), den Albert-Kanal (Legende: b) und die Schelde (Legende: c).

1940: Frankreichfeldzug (meist als Heeresreserve)
Am 28. Mai 1940 trat eine Waffenruhe mit Belgien ein. Einige Tage später, am 3. Juni, überschritt die 30. Division als Heeresreserve die französisch-belgische Grenze. „Sie stieß überall noch auf die noch frischen Spuren der Kämpfe“ (24). Am 16. Juni 1940 zeichnete General von Briesen (25) in Paris (Legende Nr. 7) die Soldaten seiner 30. Division mit dem Eisernen Kreuz aus. Nach dem Waffenstillstand mit Frankreich wurden sie Besatzungstruppe in Paris. Dem I. Bataillon Infanterieregiment 6 wurde das 9. Arrondissement zugewiesen. Dieser Stadtteil von Paris liegt auf dem rechten Ufer der Seine und besteht aus vier Stadtvierteln.
Am 29. Juli 1940 begann die Verlegung der Division an die Küste der Normandie (Legende Nr. 8), von wo aus die Soldaten an der „Aktion Seelöwe“ (Landung in England) teilnehmen sollten. Im Spätsommer wurde dieses Vorhaben jedoch abgesagt. Daraufhin erfolgte eine Verlegung der Soldaten nach Holland.
Der Winter 1940/41 diente der Kriegsvorbereitung mit Rekrutenausbildung, Scharfschießen und Marschübungen.

1941-1945: „Unternehmen Barbarossa“ (Russlandfeldzug/Kriegsgefangenschaft)
Im Mai 1941 wurde die 30. Division aus den Niederlanden nach Insterburg (Ostpreußen) (Legende Nr. 9) verlegt, dort begann für sie am 22. Juni das „Unternehmen Barbarossa“. Das „Unternehmen Barbarossa“ bezeichnet den Angriff der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion. Seit Beginn seiner politischen Karriere war die Eroberung der Sowjetunion Hitlers erklärtes Ziel. Ein Sieg gegen die Sowjetunion hätte NS-Deutschland auf dem Kontinent unangreifbar gemacht. Die vom 24. Juli bis 20. August andauernde Schlacht um Staraja Russa (Legende Nr. 10)leitete jedoch die Wende vom Angriffskrieg zur Abwehrschlacht ein. Da nicht mehr genügend Streitkräfte zur Verfügung standen, um den Durchbruch durch das feindliche Stellungssystem auszunutzen, kam es am Westhang der Waldai–Höhen (Legende Nr. 11) zum Stillstand. Verdeutlicht wird das an der Kampfstärke der Schützenkompanien des I. Bataillon Infanterieregimentes 6 am Abend des 19. Oktobers 1941, 1. Kompanie: 33 Mann, 2. Kompanie: 34 Mann, 3. Kompanie: 50 Mann. (26) Bedingt durch die nun einsetzende Schlammperiode und das Winterwetter kam es in der Folge zu krisenhaften Situationen, nur wenige Soldaten aus dem Eutiner Bataillon überlebten.
Vom 8. Januar 1942 bis zum 1. März 1943 fand die „Kesselschlacht von Demjansk“ (Legende Nr.12) statt. Dabei gelang es den sowjetischen Armeen, die deutschen Truppen Mitte Februar einzukesseln. „In einem Kesselgebiet von ca. 3000 Quadratkilometer mit einem Frontumfang von etwa 300 km um die Kleinstadt Demjansk, 75 km südöstlich des Ilmensees befanden sich sechs Divisionen mit etwa 95 000 Soldaten und 20 000 Pferden eingeschlossen.“ (27) In den folgenden beiden Kriegsjahren musste sich die 30. Division immer weiter zurückziehen. Nachdem der Versuch, Staraja Russa zu verteidigen, gescheitert war, musste die 30. Division über die lettische Grenze zur Marienburg-Stellung (Legende Nr. 13) zurückweichen. Hier erlitt sie ihre größte Niederlage; es kam zur Rückzugsbewegung bis zur Embach (Legende: d). Schließlich marschierten die Truppen südöstlich Libaus (Legende Nr.14) zur Übergabestelle; sie gaben ihre Waffen ab. Die Soldaten kamen in sowjetische Kriegsgefangenschaft.





5. Die Rettberg-Kaserne während des Krieges



Während der Zeit des II. Weltkrieges, als die Eutiner Einheiten des Infanterieregimentes 6 im Rahmen der 30. Division zum Einsatz an den Fronten (s. 4. Einsatzorte des I. Bataillon Infanterieregimentes 6) standen, war in der Eutiner Rettberg-Kaserne die Heeresunteroffizierschule (HUS) untergebracht, denn das Ersatzbataillon für die friedensmäßigen Eutiner Truppenteile lag in der Meesen-Kaserne in Lübeck-Marli. (28)
Die Schule umfasste neben dem Stab (29) die Zahlmeisterei und vier Kompanien mit je 150 Unteroffizierschülern, insgesamt etwa 700 Soldaten. (30)

Die „Heeresunteroffizierschule Eutin“ wurde am 1. Januar 1942 eingerichtet. Zuerst fand die Ausbildung des Stammpersonals statt. Dieses bestand größtenteils aus Front erfahrenen Offizieren und Unteroffizieren sowie Stabsgefreiten, Obergefreiten und Gefreiten. (31) Sie waren durch erlittene Verwundungen nicht mehr an der Kriegsfront zu verwenden. Kommandeur dieser Schule war vom Januar 1942 bis zum Herbst 1944 Oberst Eugen Priebsch. Er hatte sich von seinen schweren Verwundungen im Feldzug gegen Frankreich erholt und konnte nun diese Kommandeursstellung annehmen. Im Herbst 1944 wurde er von Oberst Herpell abgelöst.
Für den allgemein bildenden Unterricht der HUS, der in den Baracken (s. Skizze der Rettberg-Kaserne Nr. 14) stattfand, sorgten sechs bis acht Rektoren und Oberlehrer aus dem Heer.
Das weitere notwendige Personal, wie z. B. für die Küche, aber auch Schneider, Schuster oder Sattler, bestand aus zivilen Fachkräften, die aus Eutin und der näheren Umgebung kamen.
Ab dem 1. April 1942 begann die Ausbildung des 1. Unteroffizier-Lehrgangs, „der sich hauptsächlich aus 17/18jährigen Unteroffizier-Vorschülern zusammensetzte“ (32). Der erste Lehrgang dauerte ein Jahr. Die folgenden Lehrgänge wurden – bedingt durch den Krieg – auf sechs Monate und ab 1944 auf vier Monate verkürzt. Mit ihrer Ausbildung verpflichteten sich die Soldaten auf eine Dienstzeit von 12 Jahren. Vier Wochen nach ihrem Ausbildungsbeginn wurden die Soldaten vereidigt. Nach etwa drei Monaten wurden sie zum Obergrenadier befördert. Am Ende ihrer Ausbildung erhielten die Soldaten ein Zeugnis, und „alle Unteroffizierschüler mit bestandenem Lehrgang [wurden] zum Gefreiten und Unteroffizieranwärter befördert“ (33). Sie wurden meist nicht in die 30. Division geschickt, sondern kamen zu neu aufgestellten Divisionen und anderen Kampfverbänden „in Gebiete, wo die größten Verluste waren“, so der Zeitzeuge Horst Krause.

Die Ausbildung der Unteroffizierschüler umfasste folgende Gebiete:
1 - Infanteriegefechtsausbildung
2 - Waffenausbildung
3 - Schießausbildung
4 - Formaldienst (Exerzieren)
5 - Sport
6 - Allgemeine Bildung (zweimal wöchentlich drei bis vier Stunden Deutsch,
Geschichte, Mathematik, tlw. kyrillische Schriftzeichen)
7 - Politische Bildung (ein- bis zweimal wöchentlich durch Kompaniechef
oder Kompanieoffizier)
8 - Innendienst (Waffen reinigen, putzen und flicken, Stuben und Revier
reinigen)

Zur Veranschaulichung eines Tagesablaufs in der Heeresunteroffizierschule ist im Anhang eine Kopie des Zeitzeugen Horst Krause zu finden. Hier ist in einer Abschrift der Tagesablauf vom 12. April 1944 detailliert dargestellt.

Herr Krause berichtete auch, dass Schießübungen einmal im Monat in Putlos stattgefunden hätten. Der 35 km lange Marsch dorthin sei mit nur einer Pause bewältigt worden. Während seiner Soldatenzeit in der Heeresunteroffizierschule habe es einen Fliegeralarm gegeben:
„Lightnings kamen über den Großen Eutiner See." Dabei sei ein Flieger abgeschossen worden. Nach der Bruchlandung sei der Pilot in die Arrestzelle gekommen.



6. Kriegsverbrechen des I. Bataillon Infanterieregimentes 6



Die Recherchen zu diesem Thema gestalteten sich schwierig. Dieses liegt zum einen darin begründet, dass viele Dokumente bedingt durch Kampfhandlungen und durch befehlsmäßige Vernichtung von Unterlagen verloren gegangen sind. Zum anderen war mir ein Besuch in dem Bundesarchiv bzw. Militärarchiv Freiburg oder Ludwigsburg aufgrund der Entfernungen (ca. 750 – 850 km) nicht möglich, der Vorschlag zur Einschaltung eines privaten Recherchedienstes entfiel aus Kostengründen ebenfalls. Mit Hilfe der Außenstelle des Bundesarchivs in Ludwigsburg gelang es mir, Kopien zu einem Ermittlungsvorgang gegen Angehörige des Infanterieregiments 6 zu erhalten. Diesen Soldaten wurde vorgeworfen, im Jahr 1939 mehrere polnische Zivilisten getötet zu haben.
Das Ermittlungsverfahren geht auf ein polnisches Strafverfolgungsersuchen vom 17.11.1978 zurück, das im März 1983 von der Staatsanwaltschaft Hildesheim abgeschlossen wurde. Der Fokus der staatsanwaltlichen Ermittlungen war darauf gerichtet, ob bzw. inwieweit die Tötungshandlungen strafrechtlich, etwa durch Identifizierung der Täter oder die Qualifizierung ihrer Handlungen als Mord- oder Totschlagsverbrechen, noch verfolgbar waren.
Die in dem Ermittlungsvorgang verwendeten Zitate stammen alle aus den mir vorliegenden Unterlagen der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Hildesheim (Kopien, Blatt 299-309), die im Bundesarchiv der Außenstelle Ludwigsburg unter der Signatur Bundesarchiv B 162/18937 verwahrt wird.

Gegenstand des Verfahrens sind Tötungen polnischer Bürger durch Angehörige der deutschen Wehrmacht. Deutsche Soldaten sollen am 10.09.1939 in dem Dorf Janowice sechs polnische Bürger erschossen und drei weitere schwer verletzt haben. Zur Klärung dieser Anschuldigung sind mehrere damalige Angehörige der deutschen Wehrmacht vernommen worden. Das Dorf Janowice liegt etwa 16 km östlich von Leczyca und 3 km nordwestlich der Stadt Piatek. In diesem Gebiet war es zu Kämpfen zwischen polnischen Einheiten und der 30. deutschen Infanteriedivision gekommen (vgl. 4.1 Polenfeldzug).
Die drei überlebenden Männer geben in den vorliegenden Unterlagen übereinstimmend an, „daß sie sich, teilweise mit ihren Familien, insgesamt etwa 20 Mann, wegen der Kampfhandlungen im Gebiet um Janowice an diesem Morgen in dem Hause des Stawinski versammelt hätten, weil dieses als einziges gemauert gewesen sei und sie sich so hätten gegen Gewehrkugeln schützen wollen. Gegen 5.30 Uhr seien dann deutsche Soldaten unter Führung eines Offiziers auf den Hof gekommen und hätten 11 Männer herausgeführt. Zwei ältere Männer hätten die Deutschen wieder ins Haus gehen lassen, auf die übrigen neun sei geschossen, dabei seien sechs tödlich getroffen worden. Es habe keinen Anlaß für diese Erschießungen gegeben.“ (34)
In den vorliegenden Unterlagen der Einstellungsverfügung sind Aussagen von acht der damaligen Angehörigen des 6. Infanterieregiments festgehalten, die von weiteren Vorfällen, auch Tötungshandlungen berichten. Diese stehen weitgehend im Zusammenhang mit Angriffen von Freischärlern und Zivilisten auf deutsche Soldaten.
Die Schilderung eines Zeugen lässt Parallelen zu den Vorwürfen bzw. der Klage der drei polnischen Männer erkennen: Die Soldaten seiner Einheit (1.Kompanie/Infanterieregiment 6) seien einmal aus einem allein stehenden Steinhaus beschossen worden, woraufhin das Haus vom 3. Zug umstellt worden sei. Die Polen seien dann herausgekommen. Dabei sei zu erkennen gewesen, „daß es sich um polnische junge Männer in Zivil gehandelt habe. Die Polen hätten sich dann an der Hauswand aufstellen müssen und seien erschossen worden, nur einem sei es gelungen, zu entkommen“ (35). Dieser Zeuge gibt weiter an, selbst nicht geschossen zu haben. Es sei einwandfrei zu erkennen gewesen, dass es sich bei den jungen Männern um Heckenschützen gehandelt habe, die vorher seine Einheit beschossen hätten.
Die gerichtliche Ermittlung dahingehend, ob es sich bei diesem Vorfall um den o. g. Tatvorwurf handelt, ist offen geblieben. Dagegen spreche aber, so ist aus den Unterlagen ersichtlich, dass die „geschilderte Erschießung an einem Abend, möglicherweise am 06. oder 07.09.39 geschehen ist“ (36).

Von den anderen Angehörigen des Infanterieregiments 6 wurden u. a. folgende Vorfälle berichtet:
Ein Zeuge erzählte von einem polnischen katholischen Pfarrer und zwei polnischen Zivilisten, die sich westlich von Piatek als Heckenschützen betätigt hätten. Dabei sei ein Maschinengewehr von einem Kirchturm aus eingesetzt worden. „Opfer war eine deutsche Aufklärungstruppe, die Fahrräder benutzte. Der polnische Pfarrer wurde gefasst und erschlagen, `damit er das Maschinengewehr nicht noch auf uns richten konnte.`“ (37) Seine beiden Gehilfen seien dem Kompaniechef übergeben worden. Der Zeuge wisse nicht, was mit ihnen geschehen sei.
Ein weiterer Zeuge ergänzte diesen Bericht: Die getöteten Soldaten der Radfahrerkompanie seien durch Polen noch verstümmelt worden. Deswegen habe man nach weiteren Tätern gesucht. „Man habe dann acht bis neun Juden in Kaftanen angetroffen, die zwar sämtlich Bartträger gewesen seien, aber Rasiermesser bei sich gehabt hätten.“ (38) Diese seien erschossen worden. Er selbst habe nicht geschossen.
Ein Zeuge, damals Hauptfeldwebel der 1. Kompanie/Infanterieregiment 6, gab an, dass seine Einheit vor dem 09.09.1939 bei dem Durchqueren eines Dorfes aus einer großen Hundehütte mit Maschinengewehrfeuer beschossen worden sei. Dabei sei der Fahrer des Trosses tödlich getroffen worden. Das Feuer sei erwidert worden. Es habe sich herausgestellt, dass zwei polnische Zivilisten aus der Hundehütte gefeuert hätten. Beide seien getötet worden.
Ein anderer Zeuge, der dem 1. Zug der 1. Kompanie des Infanterieregimentes 6 angehörte, berichtete ebenfalls von Heckenschützen, die seine Einheit am 10.09.1939 „von dem in ihrem Rücken liegenden Dorf Janowice her beschossen“ (39) hätten. Er wisse jedoch nicht, wer die polnischen Zivilisten erschossen habe, es müsste durch eine ihm unbekannte Einheit geschehen sein.

Aus den Angaben der Angehörigen des Infanterieregimentes 6 wurde für die Staatsanwaltschaft deutlich, dass „bei der Kampftätigkeit im Raum Janowice/Piatek offenbar in erheblichem Umfange polnische Freischärler und bewaffnete Zivilisten in die Kämpfe eingriffen“ (40). Eine Bestätigung dieses Eindrucks ergab sich aus einem Tagesbefehl des polnischen Generals vom 11.09.1939. Er gab Aufschluss darüber, dass der Feind auf dem Rückzug sei und eingeschlossen werden solle. Die polnischen Landsleute würden aufständische Abteilungen bilden, es gebe Aufstandsbewegungen im ganzen Posener Land. „Dieser Tagesbefehl ist abgedruckt im Buch von Eible ,Die Schlacht an der Bzura` im Kapitel ,Angriff im Raum Leczyca`.“ (41). Auch durch einen Aufruf im Rundfunk habe die polnische Regierung die gesamte Bevölkerung zu bewaffnetem Widerstand aufgerufen. Ein Zeuge wies in diesem Zusammenhang daraufhin, dass es für die deutschen Soldaten zunächst noch keine Anweisung gegeben habe, wie man mit Heckenschützen verfahren sollte. Erst nach dem 09.09.1939 sei jeder Dienststelle schärfstes Durchgreifen zur Pflicht gemacht worden, wobei es dann auch eine besondere Anordnung für den Umgang mit Freischärlern gegeben habe. Des Weiteren wurde eine Morgenmeldung des 10. polnischen Armeekommandos vom 10.09.1939 in diesem Verfahren herangezogen: Hier wurde von massiven Kämpfen, unterstützt von Baumschützen und Freischärlern, im Raum um Leczyca berichtet.
Als Ergebnisse dieses Verfahrens werden u. a. folgende Tatbestände aufgeführt: In dem betroffenen Gebiet war die 30. Infanteriedivision unter Generalmajor von Briesen im Einsatz. Westlich von Piatek war das I. Bataillon/Infanterieregiment 6 unter dem Befehl von Udo de Rainville eingesetzt, während sich in dem Frontabschnitt Janowice die 1. Kompanie des Infanterieregimentes 6 unter Oberleutnant Steuer befand. Nach den Angaben des damaligen Hauptfeldwebels der 1. Kompanie des Infanterieregiments 6 war die 1. Kompanie westlich von Piatek von rechts nach links in der Reihenfolge der Zugnummerierung mit der Frontrichtung nach Norden eingesetzt. Bei der von den polnischen Zeugen beschriebenen Erschießung am Morgen des 10. Septembers 1939 scheiden Angehörige des 3. Zuges der 1. Kompanie aus, weil dieser Zug bei dem Dorf Balkow eingesetzt gewesen sein muss. Da ein polnischer Zeuge von einem Offizier und zehn Soldaten sprach, müsste die Gruppe dem 1. Zug angehört haben, weil nur dieser Zug von einem Offizier geführt worden war. Dieser konnte jedoch nicht ermittelt werden.

Abschließend wird in dieser Ermittlungsakte entschieden: „…[Es] mag aber dahingestellt bleiben…, ob die Tötungshandlungen, die Gegenstand dieses Ermittlungsverfahren sind, überhaupt rechtswidrig gewesen sind. Soweit die Taten überhaupt zugeordnet werden können, sind die in Betracht kommenden Personen entweder bereits verstorben oder können nicht mehr ermittelt werden.“ (42)

Damit wurde das Verfahren gegen die ehemaligen Angehörigen des Infanterieregimentes 6 eingestellt. Zu berücksichtigen ist bei dieser Einstellungsverfügung sicherlich, dass eine Rekonstruktion der Tatvorgänge auf der Grundlage zeitgenössischer Dokumente sowie Zeugen- und Beschuldigtenaussagen nach mehreren Jahrzehnten sehr erschwert ist.
Zur weiteren Erläuterung des geschichtlichen Hintergrundes der beschriebenen Ereignisse dieser Einstellungsverfügung sei folgendes angemerkt:
Die Wehrmacht selber hat kaum Dokumente hinterlassen, aus denen das Ausmaß ihrer Beteiligung an Übergriffen bzw. Verbrechen abgelesen werden könnte. Wie aus einer Publikation zur Geschichte der Wehrmacht in Polen des Deutschen Historischen Instituts Warschau vom Juni 2006 hervorgeht, lassen sich keine genauen Zahlen über polnische Zivilisten und Kriegsgefangene, die zur Zeit der deutschen Militärverwaltung ums Leben kamen, mehr ermitteln (43). Deutlich wird aber, dass deutsche Soldaten gegenüber polnischen Zivilisten rücksichtsloses und brutales Verhalten zeigten. „In den überlieferten Kriegstagebüchern von Wehrmachteinheiten aus dem Herbst 1939 wird ein besonders rücksichtsloses Vorgehen der Truppe gegen polnische und jüdische Zivilisten und Kriegsgefangene freimütig eingeräumt.“ (44) Die o. g. Publikation erklärt eine brutale Vorgehensweise der deutschen Soldaten zunächst einmal damit, dass in Deutschland bereits seit Jahrhunderten eine abschätzige Haltung gegenüber Slawen und Juden geherrscht habe, die durch die nationalsozialistische Propaganda neu geschürt worden sei, um die Soldaten für „den neuen Gegner ideologisch zu rüsten“ (45). „Nur unzureichend auf die Gegebenheiten des ersten Einsatzes im fremden Land geschult und noch unerfahren im Wald- und Ortskampf erlebten sie Standardsituationen des Krieges als außerordentliche Bedrohung, die in ihren Augen außerordentliche Maßnahmen erforderte.“ (46) Damit erschienen ihnen Übergriffe gegen Zivilisten und Kriegsgefangene als ein legitimes Mittel der Selbstverteidigung; durch die Erschießung verdächtiger Personen konnte eine Bedrohung schnell beendet werden. (47) Die Gewalt deutscher Soldaten auch gegenüber Zivilisten wird damit zu tun haben, dass man Rache nehmen wollte für die eigenen Verluste.
Die im Ermittlungsverfahren erwähnte Zeugenaussage bzgl. der acht bis neun angetroffenen Juden, von denen durch die mitgeführten Rasiermesser eine Bedrohung ausgegangen sein soll, erscheint zumindest fragwürdig, wenn historisch eindeutig ermittelt wurde, dass „eine besondere Variante der Gewalt, die von deutschen Soldaten im Spätsommer 1939 angewandt wurde,… sich gegen die polnischen Juden“ (48) richtete. „Aufgrund ihrer traditionellen Kleidung waren sie unschwer auszumachen, und vom ersten Tag der Invasion an wurden sie von Wehrmachtsoldaten zu Freiwild erklärt…gewalttätige Übergriffe und Morde waren in Polen im Spätsommer 1939 an der Tagesordnung und wurden innerhalb der Truppe als grobe Späße verharmlost oder als Kavaliersdelikte betrachtet.“ (49) Die in den Zeugenaussagen immer wieder erwähnten Heckenschützen und Freischärler ließen auch zur Invasionszeit durch die Meldungen von der Front die Kommandobehörden überzeugt sein, dass sich die polnische Bevölkerung am Krieg beteiligen würde. So wurde eine Reihe von Befehlen erlassen, die ein verschärftes Vorgehen gegen die polnische Bevölkerung hervorriefen. Hinzu kam, dass es in Polen keineswegs nur um die Erreichung militärischer Ziele ging, sondern auch und gerade der NS-Rassenwahn (Slawen als „minderwertige Rasse“) bei dem brutalen Vorgehen der Wehrmacht eine entscheidende Rolle spielte. In einer Ansprache verkündete Adolf Hitler am 22.8.1939: „Vernichtung Polens im Vordergrund. Ziel ist Beseitigung der lebendigen Kräfte, nicht die Erreichung einer bestimmten Linie.“ (50) In seiner Rede vom 19.9.1939 in Danzig führte er aus, „die polnische Regierung habe ihre Bevölkerung Anfang September dazu aufgefordert, als Heckenschützen auf unsere Soldaten zu schießen“ (51). Das führte dazu, dass sämtliche Personen, die sich in Häusern aufhielten, aus denen auf Soldaten gefeuert wurde, umstandslos erschossen und ganze Ortschaften zur Bekämpfung von Freischärlern niedergebrannt wurden. (52) Erst in der zweiten Septemberwoche, so ergaben Nachforschungen, wurde die Befehlsgebung verschärft, weil die Anzahl von Plünderungen und Vergewaltigungen überhand genommen hatte. Dies geschah aber nicht aus Mitgefühl, sondern einzig darum, dass sonst das Ansehen der deutschen Wehrmacht geschädigt würde. (53)


7. Anmerkungen



(1) Garnison – Bezeichnung für die militärische Besatzung eines Ortes, auch für den Ort; heute durch den Begriff „Standort“ ersetzt/ ein Standort ist der Ort, in dem Truppenteile, Dienststellen u. a. ständig untergebracht sind.
(2) Udo de Rainville – Oberstleutnant de Rainville war seit 1937 Kommandeur des I. Bataillon Infanterieregimentes 6. Er fiel als Regimentskommandeur 1940.
(3) Informationen aus dem mit dem Zeitzeugen Horst Krause geführten Gespräch vom 23.05.2006
(4) Prühs, S.316
(5) Stokes, S.910, 911
(6) Stokes, S.911
(7) Brockhaus, 2006
(8) Information aus dem am 11.05.2006 geführten Gespräch mit Walter Grammerstorf
(9) Division – eine Division besteht aus drei Regimentern, die wiederum in drei
Bataillone untergliedert sind. Jedes Bataillon setzt sich aus vier Kompanien mit ca. 190 – 200 Soldaten zusammen.
(10) Information aus dem am 11.05.2006 geführten Gespräch mit Walter
Grammerstorf
(11) Wolfgang Fischer – Oberstleutnant Fischer war von 1929 – 1937 in Eutin tätig. Er ging als Oberst zum Infanterieregiment 69 nach Hamburg-Wandsbek und fiel als Generalmajor in Nordafrika
(12) Rönnpag (1993), S.66
(13) Information sowohl aus dem Gespräch mit Horst Krause als auch aus dem mit Walter Grammerstorf
(14) Stokes, S.938
(15) ebd.
(16) ebd.
(17) ebd.
(18) Bundeswehr im Wandel Nr.2, 1996, S.56
(19) ebd.
(20) Rönnpag (1993), S.73
(21) ebd.
(22) Bzura: Nebenfluss der Weichsel, 166 km lang
(23) Rönnpag (1993), S.76
(24) Rönnpag (1993), S.77
(25) Kurt von Briesen – er übernahm im Februar 1938 als Generalmajor die 30. Infanteriedivision. In der Geschichte der 30. Division heißt es von ihm: „Ein großer Lehrmeister aus den Regionen eines Moltke und ein großer
Truppenführer aus dem Bereich eines York“.
(26) Rönnpag (1993), S.78
(27) www.studentenpilot.de
(28) Rönnpag (1993), S.83
(29) Stab (Militärwesen) – Bezeichnung für die Gesamtheit der Offiziere,
Unteroffiziere und Mannschaften, die jeweils einem Kommandeur oder
Befehlshaber eines Truppenkörpers (ab Bataillon aufwärts) oder einem
Dienststellenleiter zur Unterstützung beigegeben sind. Zur rationellen
Abwicklung der Führungsarbeit ist ein Stab in sachlich zusammenhängende, abgegrenzte Aufgabenbereiche gegliedert.
(30) Rönnpag (1993), S.84
(31) entnommen aus den Aufzeichnungen des Zeitzeugen Horst Krause
(32) ebd.
(33) ebd.
(34) Einstellungsverfügung, Signatur Bundesarchiv, B 162/18937, Blatt 299/300
(35) Einstellungsverfügung, Signatur Bundesarchiv, B 162/18937, Blatt 301
(36) Einstellungsverfügung, Signatur Bundesarchiv, B 162/18937, Blatt 302
(37) ebd.
(38) Einstellungsverfügung, Signatur Bundesarchiv, B 162/18937, Blatt 303
(39) Einstellungsverfügung, Signatur Bundesarchiv, B 162/18937, Blatt 305
(40) Einstellungsverfügung, Signatur Bundesarchiv, B 162/18937, Blatt 304
(41) ebd.
(42) Einstellungsverfügung, Signatur Bundesarchiv, B 162/18937, Blatt 306
(43) Böhler, S.241
(44) Böhler, S.242
(45) ebd.
(46) Böhler, S.243
(47) Böhler, S.243
(48) Böhler, S.244
(49) ebd.
(50) Böhler, S.245
(51) Böhler, S.246
(52) Böhler, S.245
(53) ebd.


8. Quellen- und Literaturverzeichnis



Quellen:
- Einstellungsverfahren der Staatsanwaltschaft Hildesheim, Signatur
Bundesarchiv, B 162/18937, Blatt 299-309
- Gespräch mit dem Zeitzeugen Horst Krause
- persönliche Aufzeichnungen des Zeitzeugen Horst Krause
- Gespräch mit Walter Grammerstorf, ein Stadtführer Eutins
- persönliche Aufzeichnungen von Walter Grammerstorf
- Stokes, Lawrence D.: Kleinstadt und Nationalsozialismus, Neumünster
1984

Literatur:
- Bertelsmann, Weltatlas, Gütersloh und München, 2003
- Bundeswehr im Wandel Nr.2, Wochenschau Verlag, Schwalbach 1996,
S.52-56
- Harz, Friedrich Karl: Rekrut in Eutin 1936, in: Jahrbuch für Heimatkunde
1983, Eutin 1984, S.158-161
- Prühs, Ernst-Günther: Geschichte der Stadt Eutin, Eutin 1993
- Putzger: Historischer Weltatlas, Cornelsen Verlag 1997
- Rönnpag (1993), Otto: Die Geschichte der Eutiner Garnison, hrsg. v.d.
Stadtverwaltung Eutin, Eutin 1993
- Rönnpag (2000), Otto: Eutin im 20. Jahrhundert, Eutin 2000
- Wohlfeil, R. / Dollinger, H.: Die Deutsche Reichswehr, Frankfurt/M., 1972
- Böhler, Jochen: Auftakt zum Vernichtungskrieg, Frankfurt/M., 2006

Bildnachweis:
- Foto der Rettberg-Kaserne aus: Stadtarchiv Eutin


9. Anhang






Rettberg-Kaserne, 1914




Einsatzorte des I.Bataillon-Infanterieregimentes 6




Abschrift eines Tagesablaufs in der Heeresunteroffizierschule (Teil 1)




Abschrift eines Tagesablaufes in der Heeresunteroffizierschule (Teil 2)

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