Die Todesmärsche

Inhaltsverzeichnis



1. Einleitung

2. Das Lager Fürstengrube

2.1 Aufbau des Lagers Fürstengrube

2.2 Häftlinge und Lagerleitung

2.3 Evakuierung des Lagers Fürstengrube

3. Der erste Todesmarsch

4. Der zweite Todesmarsch

5. Der dritte Todesmarsch und Befreiung

6. Rezeptionsgeschichte

7. Literaturverzeichnis

8. Anmerkungen


Fürstengrube - ein Konzentrationslager der I.G. Farben AG



1. Einleitung

In den letzten Kriegswochen des Zweiten Weltkrieges bewegten sich zwei Häftlingskolonnen, die in einem furchtbaren Zustand waren, durch die Holsteinische Schweiz. Die Häftlingskolonnen bestanden aus den Insassen des Auschwitz-Nebenlagers Fürstengrube und den Häftlingen des KZ-Außenkommandos „Klosterwerke” in Blankenburg im Harz.
Das Dritte Reich stand kurz vor dem Zusammenbruch, doch noch kannten die Grausamkeiten kein Ende. Todesmärsche wurden organisiert, sie besaßen einzig und allein den Zweck, die Spuren der Opfer des Nationalsozialismus zu verwischen und sie somit dem Zugriff der Roten Armee und den Streitkräften der Westlichen Alliierten zu entziehen. Max Schmidt, Lagerführer des Auschwitz-Nebenlagers Fürstengrube, führte die Häftlingskolonnen nach Ahrensbök und in sein Heimatdorf Sarau im Kreis Segeberg.
Es wäre zu erwarten gewesen, dass der Hauptverantwortliche für diese unmenschlichen Aktionen, verurteilt worden wäre. Die gerichtlichen Verfahren gegen Max Schmidt endeten in den späten 70’er Jahren jedoch mit dem Beschluss, dass die Täter „außer Verfolgung gesetzt” sei. Dies war nicht nur durch die Bundesgesetzgebung möglich, sondern auch durch die Tendenz, die deutschen Verbrechen der nationalsozialistischen Zeit nicht zu einer Behinderung der Politik werden zu lassen.
Im folgenden Verlauf dieser Arbeit möchte ich die Tragödie des angesprochen Todesmarsches skizzieren.


2. Fürstengrube - ein Konzentrationslager der I.G. Farben AG

Der I.G. Farben-Konzern hatte am 1. Juli 1934 den so genannten „Benzin-Vertrag” mit der Reichsregierung abgeschlossen. Dieser Vertrag sicherte dem Konzern die Abnahme aller Mehrkosten und die Ersetzung der entgangenen Gewinne seitens der Reichsregierung zu. Die I.G. Farben-Konzern war ein wichtiges Rad im Getriebe der Rüstungsindustrie des Dritten Reiches und trug damit wesentlich zur Vorbereitung des Zweiten Weltkrieges bei. Aus den Werken des Konzerns gingen unter anderem hervor: 84% aller Sprengstoffe, 70% des Schießpulvers, 100% des synthetischen Schmieröls, 100% Buna (Kunstkautschuk), Produkte, die vor allem für Aufbau und Betrieb der Luftwaffe und der Panzerwaffe entscheidend waren.
Die Reichsregierung und die I.G. Farben AG beschlossen eine Ausdehnung der Produktionsstätten in das besetzte Polen, ließen sich damit doch Engpässe in der Versorgung der Wehrmacht mit Treibstoffen und Gummi beseitigen.
Die Gegend um Auschwitz schien hierfür besonders geeignet, denn das oberschlesische Kohlenrevier lag in unmittelbarer Nähe, gute Eisenbahnverbindungen waren vorhanden und vor allem Häftlinge als Arbeitsklaven. Die Überlegungen, die Planungen sowie die Durchführung und der Betrieb der neuen Anlage verliefen in engster Zusammenarbeit zwischen Firmenleitung, Reichsführung und SS.
Am 7. April 1941 feierte man in Kattowitz die offizielle Gründung der I.G. Farben AG Auschwitz - Buna - Werke.


Die Zeche Fürstengrube liegt bei Wesola, ungefähr 30 km vom Hauptlager Auschwitz entfernt. In der Fürstengrube war die Kohlenförderung eingestellt worden, nachdem dieses Gebiet 1921 an Polen gefallen war. Die deutsche Besetzung dieses Gebietes veranlasste eine Wiederaufnahme der Steinkohleförderung.
Im Juli 1940 schaltete sich der I.G. Farben-Konzern ein und führte Verhandlungen mit dem damaligen Besitzer, der Plessischen Bergwerks AG, mit dem Ziel, die Kohlegrube an sich zu binden. Am 8. Februar einigten sich beide Parteien und die Gründung der Fürstengrube GmbH wurde vollzogen.
In dieser neuen Gesellschaft verfügte der I.G. Farben-Konzern über 51% des Aktienkapitals, der Rest verblieb bei der Plessischen Bergwergs AG. Der Konzern war somit in der Lage, über die Förderung und Verwendung der Kohle zu bestimmen.
Die Schachtanlage der Fürstengrube förderte im Jahre 1941 nur 325.000 Tonnen Steinkohle, man erwartete aber eine Steigerung der Produktion auf mindestens 1.200.000 Tonnen jährlich nach der Planung einer neuen Schachtanlage. Diese neue Schachtanlage jedoch war auch im Jahre 1944 noch nicht einsatzbereit, sodass die eingesetzten Häftlinge unter extremen Belastungen in der „Alt-Anlage” arbeiten mussten.


2.1. Aufbau des Lagers Fürstengrube

Schon bevor das Auschwitz-Nebenlager Fürstengrube errichtet worden war, unterhielt die Fürstengrube GmbH bei der Ortschaft Wesola mehrere Barackenlager zur Unterbringung verschiedener Gruppen von Arbeitskräften. Diese Barackenlager waren jeweils mit einem Stacheldrahtzaun umgeben, um gegenseitige Kontakte zu erschweren.
Die Barackenlager lassen sich grob in folgende Bereiche einteilen:
Das Lager Nord war für sowjetische Kriegsgefangene gedacht, die Zahl der Häftlinge wird auf durchschnittlich 400 geschätzt.
Das Lager Ostland schloss 93 sowjetische Frauen ein, die wahrscheinlich aus dem „Reichskommissariat Ostland” (Lettland, Estland) stammten. Des Weiteren bestand der Großteil der Inhaftierten aus 354 Italienern.
Das südliche Teil des Lagers diente jüdischen Zwangsarbeitern, die von der Fürstengrube GmbH beschäftigt wurden, als Unterkunft. Im Jahre 1942 werden die Zahlen der Häftlinge auf 300 französische, 330 belgische und 200 holländische Juden geschätzt (1).
Die Baracken im südlichen Lager beherbergten rund 80 Häftlinge, ein weiterer Aspekt, der die unmenschliche Unterbringung der Häftlinge verdeutlicht, ist der Regen, der durch das offene Dach gelangte (2). Außerdem mussten die Häftlinge auf Holzpritschen ohne Matratzen schlafen. Der Tagesverlauf begann mit einem Morgenappell, der sich von 4 bis 6 Uhr ausdehnte, dann folgte die Arbeit für die Fürstengrube GmbH bis um circa 19.00 Uhr. Verschlimmert wurde die Situation der Häftlinge durch die Schläge und Tritte seitens der SS. Wer nicht mehr arbeiten konnte, wurde sofort erschossen. „Täglich brachten wir circa 20 Tote mit ins Lager” (3).
Rudolf Höß (ab 1940Lagerkommandant in Auschwitz) besichtigte die bei Wesola gelegenen Lager im Juli 1943 zusammen mit den Vorstandsmitgliedern der Fürstengrube GmbH und der I.G. Farben AG Auschwitz, man beschloss den Bau eines neuen Lagers für 1200 bis 1300 Häftlingen aus Auschwitz zu beginnen.
Die Lagereinrichtungen (Barackenbau, Ummauerung) wurden im Oktober 1943 fertig gestellt.


2.2. Häftlinge und Lagerleitung

Die ersten Häftlinge dieses neuen Auschwitz - Nebenlagers Fürstengrube waren die jüdischen Zwangsarbeiter aus den Baracken des südlichen Lagers. Es folgten dann bis zum Jahresende weitere Transporte von Juden aus der Gegend von Posen und aus dem Lager Malines in Belgien nach Fürstengrube. Als Belegzahlen des Lagers werden vom Jahresende 1943 bis März 1944 700 Häftlinge angegeben, dann im Juli 1944 zählte die Zahl der Häftlinge 1200 bis 1300 (4). Der Anteil der Polen an den Insassen des Auschwitz - Nebenlagers Fürstengrube zählte 85-90% und machte so die zahlreichste Gruppe aus (5). Trotzdem sei erwähnt, dass die Lagerzusammensetzung starken Schwankungen von Abgängen und Neuzugängen unterlag, denn beispielsweise überwogen im Sommer 1944 die Juden aus Ungarn. Die Insassen deutscher Nationalität des Lagers Fürstengrube wird auf 20 bis 30 geschätzt (6).
Die „Überstellung“ der Häftlinge ins Lager Fürstengrube erfolgte stets über das Stammlager Auschwitz I oder über Auschwitz II Birkenau.

Das Nebenlager Fürstengrube unterstand dem Stammlager Auschwitz I unmittelbar, dies änderte sich erst im November 1943 als es dann dem Kommandanten von Auschwitz III-Monowitz unterstellt wurde. Die Oberaufsicht blieb jedoch weiter beim Kommandanten des Stammlagers.
Das Nebenlager mit seinen Wachmannschaften und Häftlingen wurde vom Lagerführer befehligt. Dieser war auch zuständig für die Beziehungen zur Fürstengrube GmbH und zur I.G. Auschwitz.
Der erste Lagerführer von Fürstengrube wurde im September 1943
SS-Hauptscharführer Otto Moll. Nach Zeugenaussagen war „der kleine dicke Mann“ (7) bei einer ersten Begegnung durchaus freundlich Otto Moll jedoch zeichnete sich bei der Behandlung der Häftlinge durch einen besonderen Sadismus aus. Dies brachte ihm schnell den Beinamen „Henker von Auschwitz“ (8) ein.
Im Dachau-Prozess wurde Otto Moll am 13.12.1945 zum Tode verurteilt und am 28.5.1946 hingerichtet.
Max Schmidt, aufgewachsen im holsteinischen Sarau, wird ab Mitte 1944 Otto Molls Nachfolger als Lagerführer des Nebenlagers Fürstengrube. Bemerkenswert hierbei ist sein Alter bei der Übernahme des Lagers Fürstengrube, Max Schmidt war gerade mal 24 Jahre alt. Das Lager Fürstengrube führte er bis zu dessen Evakuierung im Januar 1945. Er begleitete seine Häftlinge auf dem Eisenbahntransport ins Reich und übernahm die Überlebenden dann erneut in einem Nebenlager des KL Mittelbau im Harz bis zur letzten Katastrophe Anfang Mai 1945.


2.3. Evakuierung des Lagers Fürstengrube

Im Januar 1945 rückte die 60. sowjetische Armee der Ersten Ukrainischen Front immer näher an das Oberschlesische Industrierevier heran. Am 18. Januar wurde die Stadt Krakau befreit. Die Häftlinge des Lagers Fürstengrube berichteten, dass sie bereits an diesem Tag den Kanonendonner gehört hätten (9).
Bei den Lagerinsassen breitete sich die Hoffnung auf eine baldige Befreiung aus, der Überlebenswille nahm zu: „Schneller fließt das Blut. Aber laß dir deine Freude nur nicht merken!“ (10)
Anders das Verhalten der SS: Man glaubte nach wie vor an den „Endsieg”, wie eine Ansprache Baers (Kommandant des Stammlagers Auschwitz) zu Weihnachten 1944 verdeutlicht: „Im vergangenen Jahr haben wir an den Fronten und in der Heimat harte Schläge einstecken müssen. Nun geht es wieder vorwärts. Unser Glaube an unseren Führer ist unerschütterlich, unsere Einsatzbereitschaft für unser Vaterland steht über allem. Heil unserem Führer Adolf Hitler!” (11)
60000 Häftlinge der einzelnen Lager wurden zu Fuß und per Eisenbahn nach Westen und Norden evakuiert, so auch die Häftlinge von Fürstengrube. Es wurden so genannte „Trecks” gebildet, es gab Trecks der Zivilbevölkerung sowie Trecks der KL-Häftlinge. Den Trecks der KL-Häftlinge wurde eine gewisse Priorität gegenüber den Trecks der Zivilbevölkerung eingeräumt. Der Grund hierfür ist, dass die Häftlinge als mögliche Zeugen für die in Auschwitz begangenen Verbrechen hätten aussagen können.
Die Evakuierung des Lagers Fürstengrube geschah am 19. Januar 1945. Die Häftlinge mussten an diesem Tag noch in aller Frühe an ihre Arbeitsplätze ausrücken. Gegen Mittag jedoch wurden sie wieder zurückgeführt. Im Lager angekommen verkündete Lagerführer Schmidt die für den Abend bevorstehende Evakuierung des Lagers.
Da man keine Beweise der hier begangenen Verbrechen zurücklassen wollte, fand eine Verbrennung jeglicher Akten statt auch alle Geräte wurden zerstört.
Nach Einruch der Dunkelheit, um 19 Uhr, traten die Häftlinge ein letztes Mal auf dem Appellplatz an. Mittagessen hatte es an diesem Tag nicht mehr gegeben, daher erhielt jeder Häftling als Marschverpflegung ¾ Brot, etwas Margarine und Marmelade (12).
Schmidt soll vor Beginn des Marsches noch gedroht haben: Wer fliehe oder zurückbleibe, werde erschossen. In den Prozessen, die gegen Schmidt nach Ende des Krieges geführt wurden, bestritt er jedoch, diese Drohung ausgesprochen zu haben.
Dann um 20 Uhr etwa begann der Marsch.



Der erste Todesmarsch



Als der Todesmarsch begann wurden die Häftlinge in drei Marschkolonnen eingeteilt, an der Spitze marschierte ein Kapo. Max Schmidt fuhr während dieser ersten Etappe des Todesmarsches die ganze Zeit mit einem Motorrad an den Marschkolonnen auf und ab. Die Bewachung der Häftlinge oblag der SS und den Wachmannschaften, die die Häftlinge durch Schläge antrieben. Ergänzend sei erwähnt, dass die Häftlinge die Gepäckwagen der Wachen ziehen mussten. Als wäre dies nicht schon schlimm genug für die völlig entkräfteten und hungrigen Häftlinge, kam auch noch die schlechte Witterung hinzu, denn es lagen überall Schnee und Eis bei einer Temperatur von minus 20 Grad. Der Weg, den die Häftlingskolonnen über unbefestigten Straßen durch einen Wald einschlugen, endete nach 17 km in Mikolow. Am 20. Januar erreichte man nach 28 km Marsch die Stadt Gleiwitz. Im Auschwitz-Nebenlager II Gleiwitz verbrachte man die Nacht.
„Der Weg bis Gleiwitz war ein Todesmarsch im wahrsten Sinne des Wortes gewesen“ (13).
Wie zuvor angekündigt, wurde jeder Häftling, der aus irgendeinem Grund zurückblieb (Schuhe binden, Austreten wegen Hungerdurchfalls) oder aus der Kolonne geriet, erschossen. Die Leichen wurden liegengelassen oder zur Seite gestoßen. Zeugenaussagen bestätigen: ,,Hinter unserer Marschkolonne knallte es laufend.” „Der Weg war besät mit Toten” (14).
Weitere Zeugenaussagen bestätigen, dass auch Lagerführer Max Schmidt persönlich schwache und zurückgebliebene Häftlinge erschossen habe, statt dem Morden der Wachmannschaften ein Ende zu setzen (15). Auch wenn er nicht geschossen haben sollte, so trifft ihn doch die volle Verantwortung für diese Morde, denn die Wachmannschaften unterstanden seinem Befehl.
Das Lager Gleiwitz II hatte die Funktion eines Auffangbeckens für die Häftlingskolonnen aus weiteren Auschwitz-Lagern (insbesondere Monowitz). Der Boden des Lagers muss übersät mit erschöpften Menschen gewesen sein, denn man geht davon aus, dass sich dort 4000 bis 5000 Menschen aufgehalten haben. Es wurde dann ein Eisenbahntransport zusammengestellt, wobei die Häftlinge in offene Kohlewaggons gepfercht wurden. Die meisten Zeugen erinnern sich an 100 bis 150 Häftlinge pro Waggon.
Die Fahrt führte über Gleiwitz, Rybnik, Ostrava, Gottwaldov, Breslav und Wien nach Mauthausen.
Die Fahrt bis an den Bestimmungsort Mauthausen dauerte zehn Tage, eine unvorstellbare Qual für die Häftlinge. In den Kohlewaggons gab es kaum genug Platz, um überhaupt einen unbedrängten Stehplatz zu erlangen, denn an Hinsetzen oder Hinlegen konnte man nicht denken. Die offenen Kohlewaggons ließen zudem die Kälte ungehindert herein und dies zehrte zusätzlich am schon sehr schlechten Gesundheitszustand der Häftlinge, denn es herrschte eine Temperatur von minus 20 Grad. Verschlimmert wurde dies noch durch die ungenügende Kleidung, die die Häftlinge trugen. Die Notdurft konnte nur durch die Kleidung erfolgen, die dadurch nass und eiskalt wurde. All diese Faktoren bedeuteten für viele Häftlinge den Erfrierungstod. Hunger und Durst taten dann ein Übriges.
Der Transportführer (ein SS-Oberscharführer, des Name unbekannt ist) und Max Schmidt sahen nicht nur diesem von ihnen verursachte Massensterben zu, sondern sie nahmen es auch hin oder veranlassten, dass die Wachmannschaften zusätzlich ihr Morden fortsetzten. Es wurde von Zeugen berichtet, dass jeder Kopf oder jedes andere Körperteil, das während der Fahrt über dem Waggonrand auftauchte für sie zur Zielscheibe wurde (16).
In Mauthausen angelangt, hofften die Häftlinge auf eine Beendigung der Qualen, aber Mauthausen lehnte die Übernahme der Häftlinge ab, es durften hier nur die Toten ausgeladen werden. Die Zahl der Toten lässt sich nicht genau berechnen, doch geht man von einigen Tausenden aus.
Für die Überlebenden ging die Fahrt weiter über Nürnberg, Plauen, Chemnitz, Leipzig, Weimar und Nordhausen. Endstation war das KL Dora am 28. Januar 1945.

Das Lager Dora lag etwa 5km nordwestlich von Nordhausen auf der Südseite des Kohnsteinmassivs im Landkreise Thüringen. Hier befand sich ein unrentabel gewordenes Gipswerk der I.G. Farben. In diesen Stollen wurde nach dem ungünstigen Verlauf des Krieges die Montage der V-2-Waffen fortgesetzt.
Ab Herbst 1944 erhielt dieser gesamte Lagerkomplex im Südharz die Bezeichnung „KL Mittelbau” mit Dora als Stammlager und Verwaltungssitz. Je mehr Rüstungsbetriebe sich in den bombensicheren Stollen des Harzes ansiedelten umso größer wurde dort der Bedarf an Arbeitskräften. Ende Januar 1945 wurden Zehntausende von Häftlingen von Auschwitz nach Dora gebracht.

Max Schmidt erhielt nach wenigen Tagen den Auftrag, bei Blankenburg ein neues Außenkommando zu errichten. Er begab sich also mit den Häftlingen aus Fürstengrube nach Blankenburg. Die 300 bis 400 verbliebenen Häftlinge des ersten Todesmarsches wurden wieder in Waggons verladen und in das 50 km entfernte Blankenburg gebracht. Für diese Strecke soll man zwei Tage beansprucht gebraucht haben (17).
Das Kommando unter Max Schmidt fand am Ort vier einstöckige, unverputzte Blocks vor. Das errichtete Lager trug den Namen „Turmalin”. Der erste Auftrag bestand darin, dass die Häftlinge einen Stacheldrahtzaun um das Lager ziehen sollten. Nach der Fertigstellung der Umzäunung beschäftigte sich ein Arbeitskommando mit der Errichtung von vier Wachtürmen, ein anderes Arbeitskommando sollte Stollen in den Berg sprengen.
Anfang April bekam man die Information über das rasche Vordringen der alliierten Streitkräfte. Man begann sofort mit einer Evakuierung von rund 40000 Zwangsarbeitern in der Südharz-Region. Auf das Wohl der Häftlinge wurde auch hier im Endstadium des Krieges keine Rücksicht genommen, die menschlichste Möglichkeit wäre demnach eine Auslieferung der Häftlinge in alliierte Hände gewesen.
Max Schmidt trat den zweiten Todesmarsch am 6. April 1945 an, auch hier wurde wieder nach dem Grundsatzverfahren: „Wer aus der Reihe tanzt, zurückbleibt, marschunfähig wird, wird erschossen” (18).
Der Weg dieses zweiten Todesmarsches sollte in nordöstlicher Richtung erfolgen. Als erstes Ziel entschied sich Max Schmidt für die Stadt Magdeburg. Die Frage, die sich die Historiker aufgrund dieser Marschrichtung stellen, ist die, warum er nicht den üblichen Weg in Richtung Nordwesten suchte, wo zahlreiche Todesmärsche endeten.
Gerhard Hoch versucht diese Frage mit dem „unbewußten Trieb zur Rückkehr in die Geborgenheit der Heimat, in die Obhut der Mutter, in den ungefährdeten Bereich der Kindheit” (19) zu beantworten.

Auf dem Weg nach Magdeburg traf die Kolonne „Turmalin” mit einer anderen Häftlingskolonne zusammen. Es waren die Insassen des Außenkommandos „Klosterwerke”, ebenfalls aus der Nähe Blankenburgs.

Die Errichtung des Lagers „Klosterwerke” ist auf den 25. August 1944 datiert. An diesem Tage traf die etwa 500 Mann starke Belegschaft am Ort ein. Die Häftlinge bestanden zu einem Großteil aus Belgiern, die auf der Seite des Widerstandes gegen die deutsche Besatzungsmacht aktiv waren. Diese Belgier waren in Antwerpen nach ihrer Verhaftung zu einem Sammeltransport zusammengestellt und am 9. August 1944 in Viehwaggons mit der Aufschrift „Terroristen” verladen worden. Das Ziel dieser Fahrt war das KZ Buchenwald, wo sie aber nur einige Wochen zugebracht hatten. Dann ging es für einen Teil der belgischen Häftlinge und 100 Angehörige anderer Nationen weiter nach Blankenburg im Harz.
Hier angekommen sollten sie im Lager „Klosterwerke” bestehende Stollen ausbauen und für die Rüstungsindustrie nutzbar machen.
Das Lager wurde ebenfalls wie das Lager Turmalin am 6. April 1945 evakuiert, angeführt wurde das Kommando von Johann Mirbeth.



Der zweite Todesmarsch



Die beiden Häftlingskolonnen der Lager „Turmalin” und „Klosterwerke” marschierten nun gemeinsam in nordwestlicher Richtung nach Magdeburg unter der Leitung ihrer beider Lagerführer Schmidt und Mirbeth.
Auch bei den vier Häftlingskolonnen, die das Lager ,,Klosterwerke” bildete, wurde der Befehl erlassen, dass alle, die zurückblieben, erschossen würden.
Insgesamt sollen auf dem Marsch allein aus dem Kommando „Klosterwerke” 35 bis 40 Mann von der Wachmannschaft erschossen worden sein.
In Magdeburg angekommen, organisierte Lagerführer Max Schmidt einen Schleppkahn, der die zwei Häftlingskolonnen flussabwärts bringen sollte.
Die Häftlinge wurde am Morgen des 9.April 1945 in den Lagerräumen des Schiffes untergebracht. Laut der Aussage jüdischer Häftlinge gab es an Bord keine Verpflegung.
Des Weiteren schildert ein jüdischer Häftling: „Pissen und Scheißen über Bord. Wer ins Wasser fiel, wurde nicht gerettet, sondern erschossen” (20).
Die Fahrt ging elbabwärts, nun nach Lauenburg, und von dort aus wurde die Fahrt auf dem Elbe-Lübeck-Kanal in nördlicher Richtung fortgesetzt.


Der dritte Todesmarsch und die Befreiung



Am Abend des 12. April legte der Elbkahn im Lübecker Industriehafen beim Getreidesilo an. Am nächsten Morgen begann der Fußmarsch, wobei das Kommando „Turmalin” dem der „Klosterwerke” vorausging. Der Fußmarsch führte über Pohnsdorf und von dort weiter Richtung Ahrensbök.
Die Menschen, die Zeugen dieses Anblickes wurden, schildern die Szenerie wie folgt: „Die Leute boten ein Bild vollkommenen menschlichen Jammers.
Sie waren entsetzlich verhungert und abgerissen, liefen teilweise barfuß oder ohne Strümpfe in Holzschuhen. Die Leute schleppten sich mühsam vorwärts” (21).
Die Erschießungen von Häftlingen kannte auch hier immer noch kein Ende.
Das Kommando „Turmalin” kam am Morgen des 13. April 1945 auf dem Gutshof von Siblin an. Dort wurden sie in der Nähe in einer Wellblechscheune untergebracht, die Scheune war ungefähr 15 mal 20 m groß, sodass kein Platz für die insgesamt 1000 Häftlinge der beiden Kolonnen bestand.
Das Kommando „Klosterwerke” kam im Laufe des 13. Aprils auf dem Gut Glasau an und bezog daher die Scheune auf Gut Glasau. Die Wachmannschaften wurden im Herrenhaus des Gutes untergebracht.
Am 30. April erschienen bei der Scheune in Glasau Vertreter des schwedischen Roten Kreuzes und verkündeten allen Belgiern, Franzosen und Holländern, sie würden in Sicherheit gebracht werden. Die Häftlinge fuhren nach Lübeck und wurden auf die schwedischen Schiffe „Magdalena” und „Lillie Matthiessen“ (22) verladen.
Die sowjetischen und polnischen Häftlinge blieben vorerst in der Scheune zurück, doch in der Nacht zum 1. Mai formierten sie sich unter der Führung von Schmidt und Mirbeth wieder zu einer Marschkolonne. Der Fußmarsch führte die Kolonne nach Süsel, wo sie in der gleichen Nacht noch Quartier in der alten Gutsscheune bezogen.
Am Morgen der Ankunft erschienen hier wieder die Vertreter des schwedischen Roten Kreuzes und riefen alle Personen westeuropäischer Herkunft heraus. Sie wurden ebenfalls auf die oben genannten Schiffe gebracht.
Die osteuropäischen jüdischen Häftlinge wurde einem letzten Marsch nach Neustadt ausgesetzt. Max Schmidt hatte die Absicht, sie auf die dort liegenden Schiffe „Cap Arcona”, „Thielbek”, „Athen” und „Deutschland” zu bringen.
Hier ereignete sich am Nachmittag des 3.Mai die Tragödie der Häftlingsflotte.




Hinweisschild zum Ehrenfriedhof bei Haffkrug
Bildgeber: Rathlau


Rezeptionsgeschichte



Die Tatsache, dass Auschwitz auch in unserer Heimat Holstein endete, ist für viele Personen, vor allem für die Bürger der Gemeinde Sarau, erschreckend;
eine Aufarbeitung der Zeit des Nationalsozialismus und der damit verbundenen Taten ist hier nie so richtig erfolgt. Vielmehr wurde versucht die Monate April und Mai des Jahres 1945 zu verschleiern.
Dies ging soweit, dass dem regionalgeschichtlichen Forscher Gerhard Hoch, während seiner Nachforschungen zum Todesmarsch von Auschwitz-Fürstengrube nach Sarau Einblicke in die Chroniken der Gemeinden Ahrensbök und Sarau verwehrt wurden. Begründet wurde dies mit der Aussage, dass schutzwürdige Belange noch lebender Personen beeinträchtigt werden könnten. Max Schmidt, der zu dieser Zeit noch lebte, entkam so lange Zeit einer Veröffentlichung seiner NS-Vergangenheit.
Heute, knapp 60 Jahre nach dieser Tragödie um die Todesmärsche, sollen Gedenksteine an die Opfer erinnern. Die Gedenksteine, zwölf an der Zahl, sind auf der Strecke des Todesmarsches von Lübeck nach Neustadt am 1. September 1999 aufgestellt worden. Gestaltet wurden sie unter der Leitung des Berliner Grafikers und Plastikers Leo Wolf. An der Durchführung beteiligt war auch die Gruppe 33 (Arbeitsgemeinschaft für Zeitgeschichte in Ahrensbök e.V.) und mit ihr 15 Jugendliche und junge Erwachsene aus Weißrussland, Polen, Tschechien und Deutschland. Die Gruppe 33 eröffnete eine Ausstellung in Zusammenarbeit mit den überlebenden Opfern des Todesmarsches im ehemaligen Arbeitslager zu Ahrensbök und repräsentiert heute somit einen wesentlichen Bestandteil jener Öffentlichkeit die sich um die Aufarbeitung der Todesmärsche bemüht.
Unter der Hand aber hört man weiterhin im Eutinischen sehr wohl jene Stimmen, die mit der Errichtung einer KZ-Gedenkstätte in Ahrensbök nicht einverstanden sind, eine solche Erinnnerungsstätte als ,,Nestbeschmutzung“ empfinden und an ihrem Ausbau – sagen wir es einmal vorsichtig – keinerlei Interesse haben.


Literaturverzeichnis



1.) Hoch, Gerhard: Von Auschwitz nach Holstein : die jüdischen Häftlinge
von Fürstengrube; Hamburg: Dölling und Galitz, 1998

2.) van Hoey, Albert: in: Verschleppt zur Sklavenarbeit : Kriegsgefangene
und Zwangsarbeiter in Schleswig-Holstein, S.7-12; Alveslohe und
Rendsburg, 1988

3.) Hoch, Gerhard: in: Verschleppt zur Sklavenarbeit : Kriegsgefangene
und Zwangsarbeiter in Schleswig-Holstein, S.13-29; Alveslohe und
Rendsburg, 1988




Anmerkungen



(1) vgl. Hoch, S.27
(2) vgl. ebd.
(3) vgl. Hoch, S.29
(4) zitiert nach: Hoch, S.29
(5) vgl. Hoch, S.32
(6) vgl. ebd.
(7) vgl. Hoch, S.33
(8) zitiert nach: Hoch, S.35
(9) zitiert nach: Hoch, S.36
(10) vgl. Hoch, S.69
(11) zitiert nach: Hoch, S.69
(12) zitiert nach: Hoch, ebd.
(13) vgl. Hoch, S.71
(14) zitiert nach: Hoch, S.72
(15) zitiert nach: Hoch, S.73
(16) vgl. Hoch, S.73
(17) vgl. Hoch, ebd.
(18) vgl. Hoch, S.82
(19) zitiert nach: Hoch, S.85
(20) zitiert nach: Hoch, ebd.
(21) zitiert nach: Hoch, S.97
(22) zitiert nach: Hoch, S.98


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