Zeitzeugenbericht aus Bollendorf

 
 

Der Augenzeuge, der 1927 in Bollendorf das Licht erblickte, pflegte wie in folgenden Zeilen zu lesen, bis vor kurzem den Kontakt zu Juden.


Hatten Sie Kontakt zu Juden?
 
Ja, denn neben mir auf der Schulbank saß ein Jude, Norbert Stern.
Sonst eher weniger, beim jüdischen Bäcker Daniel haben wir Brot gekauft.


Wie würden Sie die jüdische Bevölkerung einschätzen?
 
Die Juden waren in der Dorfgemeinschaft integriert, sie waren zu der Zeit priviligierte Bürger.
Ob das der Vieh- oder der Pferdehändler war, sie wurden im Gesamten gesehen sehr geschätzt.


Was hat Sie von diesem Juden unterschieden?
 
Er hat sich nur in der Hinsicht unterschieden, dass er sehr viel intelligenter war als wir- und das in jedem Schulfach. Er war ein ruhiger und vorsichtiger Junge, trotzdem hat er beim katholischen Religionsunterricht wie auch bei politischen Veranstaltungen der Hitler-Jugend teilgenommen. Dieser Junge hat sich angepasst, weil das von seinem Elternhaus so gewollt wurde. Seine Eltern hatten ein großes Tuchgeschäft und es war ihnen im Sinne gute Beziehungen zu den Dorfbewohnern zu haben. Das wird am besten durch Anpassung gewährleistet.


Was ist mit diesem Jungen passiert?
 
Nach den Vorfällen der Reichskristallnacht sind fas alle Juden verschwunden. Seine Familie ist nach Amerika ausgewandert, was ich erst später erfuhr. Jetzt muss ich einen Sprung machen.Vor 20 Jahren, als ich am Arbeiten war, kam ein Mädchen zu mir und sagte, dass vor dem Betrieb ein Mann steht, der nach mir fragt. Ich ging raus und sah einen riesen Kerl (wörtlich:Bulle). Er dutzte mich und ich wusste nicht mehr wer vor mir stand. Dann nannte er mir seinen Namen und sofort erkannte ich an seiner Nase und seinem Profil die Person, die vor 50 Jahren neben mir in der Schule saß. In Amerika hatte er sich zu dem Bänker schlechthin aufgearbeitet. Vor einigen Jahren ist er verstorben.


Wie sehr stand die Religion/die Synagoge im Leben der Juden im Vordergrund?
 
Das kann ich nicht so genau sagen, aber das hat sich wahrscheinlich nicht viel von uns unterschieden. Sie sind wie alle sonntags in die Kirche gegangen.


Welche Berufe wurden von den Juden ausgeübt?


Der Durchschnitt der Bevölkerung ging auf die Weilerbacher Hütte arbeiten. Und da sind Juden nie hingegangen. Juden waren Händler oder Kaufleute. Sie hätten aber nicht einen Job im Wald oder im Steinbruch angenommen.


Gab es in ihrem Heimatort Verfolgungen oder Hetzerei der Juden durch politsiche Gegner?


Die Reichskristallnacht war das erste Mal. Da wurden Juden geschlagen. Für diese unmenschlichen Taten war der Pöbel verantwortlich. Das waren Menschen dritter Klasse, die am Westwall die Bunker bauten. Hitler nahm die Knackis aus dem Gefängnis und gab ihnen Arbeit. Die Bollendorfer Bevölkerung hat sich nicht dagegen gewehrt, zwei Familien haben Juden versteckt. Diese Anschläge sind gezielt auf die Juden verübt worden, die Bevölkerung hatte nichts damit zu tun.


Wie haben Sie das Verschwinden der Juden wahrgenommen?
 
Gar nicht. Das Verschwinden lief ganz still, lautlos ab. Die Juden hatten schon vorher ein Konto in Luxemburg, so dass sie ein bisschen Geld hatten. Sie brauchten ja praktisch nur über die Brücke gehen und dann waren sie weg.
Es war nicht wie in Deutschland üblich, dass sie auf Lastwagen geladen wurden. Das habe ich nicht gesehen. Sie mussten nur auf die andere Seite der Sauer (Grenzfluss zwischen Deutschland und Luxemburg) gehen, dann waren sie schon nicht mehr in Deutschland. Es hat sich selbst aufgelöst. Sie sind, und das hat der Norbert mir auch gesagt, über Portugal raus. An ihre Konten kamen sie nicht mehr ran, da diese gesperrt wurden. Aber sie hatten noch so viel Bargeld und Wertgegenstände im Haus, dass sie die Überfahrt nach Amerika bezahlen konnten.


Was geschah mit den Häusern der ehemaligen jüdischen Bewohner?
 
Die Häuser fielen an den Staat ab. Erst unter Konrad Adenauer wurden den ehemaligen Bewohner eine Entschädigung bezahlt oder sie bekamen eine Rente von der BR Deutschland.


Wussten Sie/ die Bevölkerung von Konzentrationslagern wie Auschwitz?
 
Nein. Ich habe in Gefangenschaft das erste Mal etwas davon erfahren.
Und auch die Bollendorfer haben das erst nach dem Krieg gehört.


Wie wurde die Propaganda von Ihnen aufgenommen?
 
Also die Propaganda, das kann man euch jungen Leuten heute gar nicht mehr beibringen, wie fanatisch, wie verrückt wir alle waren auf das System. Sie war sehr glaubwürdig und geschickt gemacht, selbst 1944, als der Krieg schon verloren war, gab es noch Kamikaze-Flieger. Auch aus Bollendorf kam einer. So verrückt waren wir. Es war ja so, dass alle eine Uniform hatten, alle waren in der SA (...) Und was man heute über die SS schreibt, mit Günter Grass z.B. (...) Die kämpfenden Einheiten wussten doch nichts von den Schweinereien der Schwarzen SS, mit Juden abschlachten, niemand wusste davon. Das war eben der Stolz in einer Eliteeinheit zu sein. Und so war das beim Grass auch.









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